Bilder gegen den Tod Eine Auferstehungs-Ikone aus der Osterliturgie verbindet Tod und Leben

Von Heinrich Bedford-Strohm

Jesus reicht Adam die Hand, um ihn emporzuziehen. So stellt die Auferstehungsikone aus dem Stavronikita-Kloster auf dem griechischen Berg Athos Jesu Sieg über Tod und Hölle dar.

Foto: kardonas-ikonen (www.kardonas-ikonen-gmbh.de)

05.04.2015 · Schwerin. Ein felsiger Abgrund. Ein zerteiltes Bergmassiv. In der Mitte, vor Goldgrund auf zwei Felsblöcken fest ausbalanciert, Christus, wie er Adam aus dem Abgrund zieht. Mit seiner rechten Hand hält er Adams Handgelenk fest umfasst. Der kniet vor ihm und streckt Jesus seine linke Hand entgegen, um Rettung bittend, nach der Rettung greifend. Um die beiden herum, wie als Zeugen der Szene oder selbst gerade schon gerettet, links und rechts je vier Gestalten. David und Salomo sind dabei, und Eva. Auch sie streckt Jesus die Hände entgegen. Neben ihr Propheten aus dem Alten Testament. Und vorn, unten, im dunklen Abgrund: offene Gräber und die zertrümmerten Türen des Totenreichs.

Eine zeitgenössische Ikone, in Eitempera auf Leinwand gemalt und einem Alterungsprozess unterworfen, bei dem die Leinwand aufgebrochen und mit einem dunklen Schellack versiegelt wurde. Eine Variante der sogenannten „Anastasis-Ikone“, der Auferstehungs-Ikone, wie sie zur Osterliturgie der Ostkirche gehört. Sie bezieht sich auf eine Passage aus der Osterpredigt des Johannes Chrysostomus (354[?]-407, Patriarch von Konstantinopel), die bis heute in der orthodoxen Liturgie für den Ostermorgen gelesen wird: „Heute ruft der Hades stöhnend: ‚Besser wäre es für mich gewesen, ich hätte den von Maria Geborenen [Jesus] nicht empfangen. Denn da er über mich kam, hat er meine Herrschaft aufgelöst. Die ehernen Pforten hat er zerbrochen. Die Seelen, die ich zuvor gefangen hielt, hat er, da er Gott ist, auferweckt.‘ Ehre sei, Herr, deinem Kreuz und deiner Auferstehung.“

Ein Osterbild. Es ist gänzlich anders als die Alltagsbilder von Ostern, die uns umgeben, mit bunten Eiern, Häschen, Schmetterlingen und Blumen, von Osterbäumen und Osterbrunnen, in leuchtenden Farben und mit frischem, jungem Grün. Es ist aber auch anders als viele religiöse Osterbilder, die ich vor meinem inneren Auge habe: Bilder vom offenen Grab, von Christus, der triumphierend die Siegesfahne schwenkt und auf dem Todesdrachen herumtrampelt, darunter schlafend die Wachleute – oder, wie auf dem eindrucksvollen Isenheimer Altar, der Auferstandene im Glorienschein der Ostersonne aus dem Grab schwebend. Wie viel von Ostern lässt sich eigentlich darstellen?

Den Vorgang der Auferstehung selbst hat ja, wenn man den biblischen Berichten folgt, niemand beobachten können. Die Ostergeschichten berichten nur von den indirekten Zeugen des Ostergeschehens: von den Frauen am Grab oder von Marias Gespräch mit dem Engel, den sie für den Gärtner hält, vom ‚Wettlauf‘, den Johannes und Petrus sich zum leeren Grab liefern, und von Thomas, der seine Finger in die Wundmale Jesu legen darf.

„Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig“

Das alles zeigt die Ikone nicht. Sie zeigt und kündet das, was die Auferstehung von Jesus Christus für uns Menschen bedeutet. Dass der Tod besiegt und die Hölle überwunden ist, so wie es im biblischen Votum für die Osterwoche heißt: Christus spricht „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle“ (Offenbarung des Johannes 1, 18). Die Höllenpforten sind zertrümmert, die Schlüssel und Riegel und die Marterwerkzeuge des Todes liegen zerstreut im Abgrund herum. Wir wissen nicht, wer da unten noch liegt. Ist es ein Mensch, der noch im Tode gefangen ist und noch auf Rettung hofft? Oder ist es Hades, der Wächter des Totenreichs, der durch Christus überwunden ist? Stimmt vielleicht sogar beides? Am erlösungsbedürftigsten sind ja genau die, die das Geschäft des Todes selbst betreiben. Gibt es nicht für sie auch Hoffnung? Gibt es irgendeinen Bereich, den die richtende Lebenskraft Christi nicht erreichen kann?

Wie durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so ist nun durch einen Menschen die Auferstehung der Toten gekommen: „Wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden“, schreibt Paulus im 1. Korintherbrief (15, 22). Adam, der Urvater aller Menschen, wird gerettet. Und Eva, die Mutter der Lebenden, hebt erwartungsvoll die Hände, um neues Leben zu empfangen: Dass Jesus nach seiner eigenen Auferstehung, wenn er erhöht werden wird von der Erde, „sie alle zu sich ziehen will“ – so, wie er es dem Johannesevangelium (12, 32) zufolge verheißen hat. Alleine kann sich keiner aus dem Abgrund herausziehen, in den er gefallen ist. Die Hand geht hin zu Christus. Und Christus – leicht gebeugt und dem Hilfesuchenden zugewandt – ergreift sie und rettet.

So ist dieses Bild eines der stärksten Bilder von der Auferstehung, die ich kenne. Es ist jedenfalls ein ausdrückliches Gegenbild zu den vielen Bildern des Todes und der Zerstörung, mit denen wir Tag für Tag konfrontiert werden: von den Opfern von Krieg und Gewalt im Irak, in Syrien, Libyen und Ägypten, in Palästina und in Nigeria, in Paris und in der Ukraine. Von der Zerstörung der Kulturschätze in Nimrud. Von den Flugzeugtrümmern in den französischen Alpen. Von der sterbenskranken Schwester. Wie können wir all diese Bilder überhaupt noch ertragen, ohne abzustumpfen oder zu verdrängen? Solche Bilder lassen sich nur ertragen, wenn wir auch starke Gegenbilder haben.

Echte Gegenbilder gegen den Tod gibt es nicht viele. Sicher, es gibt Bilder vom Leben. Bilder wie unsere Alltags-Osterbilder. Sie feiern das Leben, die Fülle, die Farben, das Licht, die neu erwachende Natur. Sie schöpfen ihre Hoff nung aus dem Zyklus von Werden und Vergehen und wieder Werden. Sie halten dem Tod das Leben entgegen, indem sie nur das Leben zeigen und nicht den Tod.

Du bist der Nächste, den ich retten will

Die Ikone macht es anders. Sie verbindet in ihrer Darstellung Tod und Leben miteinander. Sie zeigt den Tod in all seiner Abgründigkeit. Sie versteckt und verdrängt nicht das Dunkel. Sie vergisst den Karfreitag nicht. Sondern sie knüpft an die Todesbilder an und transformiert sie in das Bild vom neuen Leben, das die Auferstehung Jesu uns eröff net. Und sie richtet sich unmittelbar an jeden, der sie betrachtet: Christus, der den Adam am Armgelenk aus dem Totenreich zieht, sieht nicht ihn an; er rettet ihn – und richtet zugleich seinen Blick auf mich. Du bist der Nächste, den ich retten will.

Wie gut, dass es Osterbilder wie diese Ikone gibt. Wie erlösend, dass wir Bilder gegen den Tod haben, die den Tod nicht verdrängen, sondern zeigen: Er ist schon überwunden. Er wird überwunden werden. Die Gewalt, die uns manchmal so unüberwindbar erscheint, wird nicht das letzte Wort haben. Gott ist stärker! Wie gut solche Bilder tun! Sie zu meditieren heißt: sie in unserem Gedächtnis, unserem inneren Bilderalbum abzuspeichern. Damit wir sie parat haben, wenn wir sie brauchen – als Vision und als Perspektive. Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaft ig auferstanden. Er wird mich zu sich ziehen. Welch ein Segen. Frohe Ostern!

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 14/2015