Kirchenmusik-Studium in MV Ein Platz an der Orgel

Von Sybille Marx

Professor Matthias Schneider im Greifswalder Institut für Kirchenmusik.

Foto: S. Marx

29.04.2018 · Greifswald. Sie ist in evangelischen Gemeinden unverzichtbar, nicht nur am Sonntag Kantate: die Kirchenmusik. Doch immer weniger junge Leute in Deutschland wollen lernen, den Gemeindegesang professionell zu begleiten, Orgel zu spielen, Chöre zu leiten. Ein Besuch am Kirchenmusik-Institut in Greifswald – der einzigen Ausbildungsstätte von MV.

Das Konzert Nr. 4 ist es, 5. Juni, 20 Uhr, Dom St. Nikolai: Friedrich Kuhn schlägt das Programm der diesjährigen Greifswalder Bachwoche auf, tippt auf seinen Namen. Den 95. Psalm von Mendelssohn wird er dort dirigieren, als Student am Institut für Kirchenmusik der Universität Greifswald, mit 26 Jahren. „Das ist schon cool“, sagt er schmunzelnd. Wegen der hunderten Festival-Besucher, die im Dom sitzen werden, wegen des Profiorchesters, das dann spielt. Aber auch, weil es Kuhns letzte Prüfung sein wird. Lauft alles wie erhofft, ist er danach voll ausgebildeter Diplom- Kirchenmusiker, mit Extra-Abschluss im Aufbaustudiengang Chorleitung, nebenbei auch noch promoviert.

Ein Exot in Mecklenburg-Vorpommern: Nur noch ein, zwei junge Leute fangen pro Jahr ein Kirchenmusik-Studium am Greifswalder Institut für Kirchenmusik an, der einzigen Ausbildungsstatte für diesen Beruf im Bundesland. Mit dem Diplom können sie sich später auf B-Musiker-Stellen bewerben, vom künstlerischen Anspruch und der Bezahlung her unter den A-Stellen angesiedelt.

Jeder kennt jeden

„Früher hatten wir Jahrgange mit drei, vier, manchmal sogar fünf Studenten“, sagt Orgelprofessor Matthias Schneider, der das Institut seit 1994 leitet. Doch die Attraktivität des Berufs habe vor etwa zehn, fünfzehn Jahren einen Knacks erlitten: „Damals haben deutschlandweit die Landeskirchen angefangen, Kirchenmusikerstellen abzubauen“, erklärt er. „In der Folge hatten wir sogar mal Phasen ohne einen einzigen Bewerber.“ Lücken, die sich durch die Jahrgange schleppen, das kleine Institut noch familiärer machen als ohnehin.

Jeder kennt jeden in diesem sanierten Altbau in der Bahnhofstraße, einer früheren Musikschule, die nach dem Zweiten Weltkrieg zum Kirchenmusikinstitut ausgebaut wurde: mit Orgeln und Klavieren auf drei Etagen, Teeküche und Proberaumen. Gerade mal zehn Menschen insgesamt studieren hier Kirchenmusik auf Diplom, zwei weitere plus Friedrich Kuhn sind im Aufbaustudiengang Chorleitung.

Für die Arbeitsatmosphäre sei diese kleine Zahl gut, sagt Professor Schneider. „Das Studium ist ja sehr intensiv, es gibt viel Eins-zu-Eins-Unterricht“. Für den Nachwuchs in den Kirchen konnten es dagegen mehr sein. „Die Zahl der offenen Kirchenmusikerstellen in Deutschland übersteigt inzwischen die Zahl der Absolventen“, sagt Schneider. Dass Friedrich Kuhn den Weg zum Kirchenmusiker einschlug, hat mit Orgelschnuppertagen in Anklam zu tun. Als 13-jahriger Klavierschüler nahm er daran teil – und war gepackt. „Mir hat Orgel viel mehr Spaß gemacht als Klavier, ich fand das Instrument interessanter“, erzählt er. Als er später auch noch feststellte, dass ihm Chorleitung lag, kam die Idee auf: „Ich probier’s mit Kirchenmusik.“

"Hier darf man noch Mensch sein“

Das Studium sei breit und intensiv, sagt Kuhn, tägliches Üben ist Pflicht – und schiere Notwendigkeit, um sich „Tastengeschick“ und musikalisches Gespür, ein großes Repertoire an Klavier und Orgel anzueignen, außerdem Chorleitung und Theorie zu lernen. „Ich hab von Kommilitonen, die vorher an anderen Instituten waren, aber gehört, dass es vergleichsweise harmlos ist“, sagt Kuhn. An Instituten, die auf eine A-Musiker-Stelle vorbereiteten, sei der Druck hoher.

„Da wird man fertig gemacht, wenn man mit etwas nicht klar kommt.“ In Greifswald bekomme man dagegen Hilfe. „Hier darf man noch Mensch sein.“ Auch die Praxisnahe zeichne das Institut in MV aus, betont Direktor Matthias Schneider: Ein sechswöchiges Gemeinde-Praktikum ist Pflicht, in zwei Chören müssen die Studenten mitsingen, sich beim Bachwochen- Festival einbringen, zusammen mit Theologie-Studenten Gottesdienste vorbereiten und halten.

Kuhn hofft, dass er später eine Stelle findet, die den Schwerpunkt auf Chorleitung setzt; wenn möglich, in einer katholischen Gemeinde, weil er selbst katholisch ist. Pech für die evangelischen Gemeinden in MV, die eine Stelle vakant haben: Sie müssen auf andere Bewerber warten.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 17/2018