„Mein Herz brennt“ Drei Jahre Nordkirche – eine Bilanz des Hamburger Propstes Horst Gorski

Von Horst Gorski

Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Bischof Gothart Magaard, Bischof Dr. Andreas von Maltzahn, Landesbischof Gerhard Ulrich und Bischöfin Kirsten Fehrs beim Gründungsakt der Nordkirche zu Pfingsten 2012.

© Nordkirche

24.05.2015 · Hamburg.

Am frühen Morgen eines sonnigen Wintertages 2014 brach ich von Hamburg auf nach Salem am Kummerower See. Dorthin hatte mich der Konvent der Propstei Neustrelitz eingeladen zu einem Vortrag über das Thema „Was ist reformatorisch an der Nordkirche?“. Schließlich lag der Kummerower See vor mir, ein Ort, von dem ich bislang gedacht hatte, er sei eine literarische Erfindung von Ehm Welk.

Das „Thema hinter dem Thema“ lautete: Wie lebt es sich in einer Kirche, die das „Allgemeine Priestertum“ zur Grundlage ihrer Verfassung gemacht hat? In einer Kirche, die von der „Dienstgemeinschaft“ aller in ihr Tätigen spricht. Die das „Selbstbestimmungsrecht“ der Kirchengemeinden in ihrer Verfassung verankert hat. Die die Barmer Theologische Erklärung von 1934 unter ihre Bekenntnisse aufgenommen hat. Eine Erklärung, in der Kirche als „Gemeinde von Schwestern und Brüdern“ definiert wird und nach der die verschiedenen Ämter in der Kirche „keine Herrschaft der einen über die anderen“ begründen. Wie lebt es sich in dieser Kirche – und wie kann es sein, dass sie sich so ganz anders anfühlt, so hierarchisch, so weit weg von den Menschen? So wurde es dort von den Pastorinnen und Pastoren artikuliert, und nach meiner Erfahrung nicht nur dort.

Ich wusste auf diese Fragen auch keine Antwort. Das in der Verfassung niedergelegte Kirchenbild der Nordkirche ist basisorientierter als alle drei Vorgängerkirchen. „Gefühlt“ ist sie basisferner. Vielleicht liegt es schlicht an der Größe. Denn dies ist meine Erfahrung auch aus der Fusion der Kirchenkreise: Große Einheiten scheinen institutionell automatisch die Hierarchie zu stärken, egal welches Kirchenbild man verfolgt. Sie stärken die Professionalisierung, sie machen die Wege weiter und sie machen die Mitwirkung, insbesondere auch für Ehrenamtliche, schwieriger.

Landeskirche sucht gemeinsame Kultur

Eine gewisse Verunsicherung wird zudem dadurch verursacht, dass auf Ebene der Landeskirche eine neue, gemeinsame Kultur gefunden werden muss. In den drei Vorgängerkirchen konnte man ziemlich sicher vorhersagen, wie ein Antrag auf kirchenaufsichtliche Genehmigung von dem jeweiligen Kirchenamt oder Konsistorium entschieden würde. Das ist im Augenblick schwieriger. Und manchmal wundert man sich...

Erleichtert wurde diese Anfangsphase durch den unerwartet guten Fluss der Kirchensteuereinnahmen. Kaum vorzustellen, in welche Konflikte wir geraten wären, wenn gleichzeitig das Geld knapp geworden wäre! Aber auch dies ist wohl eine allgemeine Erfahrung: Fusionieren spart kein Geld, jedenfalls kurzfristig nicht, im Gegenteil. Fusionieren sollte man, solange man Geld hat!

Jenseits dieser Fragen aber brennt mein Herz bei den Inhalten und bei den Menschen. Und da bin ich voll auf meine Kosten gekommen. Die Begegnungen mit den Menschen in Mecklenburg und Vorpommern, das Erzählen unserer Geschichten, die Debatten um Amtsverständnis und Gemeindeleitung und insbesondere um „Barmen“ haben mich bereichert wie nicht viele andere Phasen meines Berufslebens. Mein Wunsch, ein Sabbatical in einer mecklenburgischen Gemeinde zu machen, wäre ohne diesen Hintergrund nie entstanden.

Ein wunderbarer Ort, an den Inhalten der neuen Kirche zu arbeiten, ist die Theologische Kammer. Verantwortung für die Schöpfung, Pfarrdienstrecht und gemeindetheologische Aspekte von Wahlgesetzen: Das und viel mehr haben wir dort diskutiert. Beim Thema „evangelische Schulen“ erlebten wir, wie die unterschiedlichen Geschichten in Ost und West deutlich hervortraten. In Mecklenburg und Vorpommern war die Gründung von evangelischen Schulen nach der Wende eine Riesenchance, die Bildungslandschaft mitzugestalten; sie sind die, oft einzige, Möglichkeit für die Kirche, Kontakt zu Jugendlichen aufzunehmen. Im Westen dagegen gelten evangelische Schulen manchen als elitär, zu teuer, und es wird in erster Linie auf den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gesetzt.

Drei Jahre nach Gründung der Nordkirche ist mein Eindruck: Es gibt immer noch viel zu diskutieren und zu erzählen. Das ist nicht immer einfach und manchmal aufwändig. Trotzdem ist uns schon viel gelungen, und ganz persönlich sage ich: Ich möchte die Bereicherung durch diese Debatten nicht mehr missen.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 21/2015