"Reden über Frieden“ – Nordkirche lud zur Online-Diskussion ein Digitaler Studientag zur Friedensverantwortung der Religionen

Von Christian Meyer

14.11.2020 · Rostock.

Ihre Hoffnungsbotschaft sollten die Kirchen in den politischen Raum einbringen. Denn gerade die Poesie der religiösen Sprache kann Grenzen überschreiten. Und: Die Heiligen Schriften beinhalten keine Rezeptur oder Handlungsanweisungen. Sie müssen als religiöse Zeugnisse verstanden werden, die mit ihrer Botschaft einen Gestaltungsraum eröffnen. Zwei Thesen der Referenten, die im Mittelpunkt des Studientages „Frieden – Wie kommt man dahin? Religionen und Menschen in der Verantwortung“ am 10. November standen. Aufgrund der Situation wurde dieser digital durchgeführt. Das hieß, die 40 Interessierten verfolgten die Vorträge per Videoschaltung und diskutierten per Chat mit.

Die Hoffnung auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung lernt gehen, daran erinnerte Anne Marie Subklew bei ihrer Begrüßung im Namen des Vorbereitungsteams für den Studientag der Nordkirche im Sprengel Mecklenburg und Pommern. Dessen Bischof Tilman Jeremias stellte in seiner Andacht das große Potenzial der Weltreligionen für Frieden heraus. Er machte aber genauso darauf aufmerksam, dass im Namen von Religionen auch Kriege und Konflikte ausgetragen wurden. Entscheidend ist aber, so der Theologe, dass „Jesus völligen Gewaltverzicht predigte“. Der Kern des Evangeliums sei die Versöhnungsbotschaft, die „nicht auf einer Ebene stehe mit biblischen Aussagen zur Rechtfertigung von Kriegen“. Heutzutage, so Bischof Jeremias, braucht es „ein klares Friedenssignal aller Religionen und ein Einstehen für gewaltfreie Lösung von Konflikten. Für dieses Konzept sind Christen aufgerufen, zu reden, zu handeln und zu beten für den Frieden“.

Religion zwischen Kriegstreiberei und Friedensstiftung

Daran konnte Professor Klaus Hock von der Theologischen Fakultät Rostock in seinem Vortrag „Religion als Aktion und Kontemplation: Zwischen Kriegstreiberei und Friedensstiftung“ gut anknüpfen. Für den Wissenschaftler steckt in den Religionen beides: das Potenzial zu Versöhnung und Frieden, aber auch zu Intoleranz und Gewalt. Stets würden Gerechtigkeit und Frieden als Grundlage und Zielpunkt beschrieben. Insofern können und müssen Religionsgemeinschaften etwas zur gewaltfreien Lösung von Konflikten beitragen. Hock stellte klar, dass Konflikte an sich nicht das Problem seien, sondern nur, wenn diese mit Gewalt und Krieg einhergingen. Genauso sei Frieden nicht mit der Abwesenheit von Krieg gleichzusetzen, sondern als „Ressource gegenwärtigen Bemühens um gelingenden Zusammenleben“ in den Blick zu nehmen.

Die Dimension des Religiösen bei Konflikteskalation und Friedensstiftung skizzierte der Theologe am Christentum und am Islam. Dabei machte er die Ambivalenz deutlich: Zum einen sind beide Religionen in der Ankündigung und Verkündigung des Heils, der „Friedensbotschaft“, begründet. Zugleich wurde es immer wieder zugelassen oder gar befördert, im Namen der Religion die jeweils absolut gesetzten Heilsvorstellungen mit Gewalt durchzusetzen. Von daher reiche es nicht aus, wenn Anhänger einer bestimmten Religion für diese den Frieden reklamieren, es müsse konkret werden, wo und wie Friedensstiftung oder anders ausgedrückt „Konflikttransformation“ geschehe.

Für die Lösung von Konflikten können Religionen laut Klaus Hock durchaus ein effektiver Katalysator sein, zumal die Mehrzahl an Auseinandersetzungen keine religiösen Gründe hätten. Das Potenzial religiös motivierter Friedensaktivisten liege dabei unter anderem darin, dass die religiöse Motivation für ihr Engagement gerade von religiösen Menschen anerkannt wird. Zudem gehe ihre Kompetenz bei der Bewältigung von Konflikten über die rationale Dimension hinaus, da auch beispielsweise die Bedeutung von Schuld oder Vergebung von ihnen in den Blick genommen werden kann.

In seinem Vortrag richtete Professor Hock ebenso den Blick auf die religiösen Zeugnisse und ihre Interpretation, die sich durch bestimmte Erfahrungen, zum Beispiel durch Kriege, wandelten. Seine These lautet knapp zusammengefasst: Die Heiligen Schriften sind ihrem literarischen Genre nach nicht als Texte zu lesen, die sich mit Handlungsanweisungen an ihre Leser/innen richten; entsprechend rufen sie weder zur Gewalt auf, noch bieten sie eine Rezeptur für den Frieden. Sie müssen vielmehr als religiöse Zeugnisse verstanden werden, die mit ihrer Botschaft einen Gestaltungsraum eröffnen.

Damit die Friedensbotschaften einzelner Religionen nicht Unfrieden säen, plädierte Professor Hock abschließend dafür, vereinzelten Ereignissen oder Texten eines bestimmten historischen Kontextes keine religiöse Qualität zuzuweisen, aus der Prinzipien zeitloser und universaler Geltung abgeleitet werden. Denn das hieße, die Herstellung eines dauerhaften und allgemeinen Friedenszustandes auf eine positionelle religiöse Begründung zurückzuführen, die auch von anderen, die diese Sicht nicht teilen, anerkannt werden müsste – und der sie sich entsprechend zu unterwerfen hätten.

Die Theologie beim Friedensthema zum Klingen bringen

Einblicke in die deutsche Außenpolitik gewährte Dr. Silke Lechner vom Auswärtigen Amt der Bundesregierung. Ihren Blick richtete sie dabei auf das Thema „Religion und Außenpolitik“, denn so die Referentin: „Außenpolitik ohne Religion funktioniert nicht“. Denn die zivilgesellschaftlichen Player in anderen Ländern, zu denen die Kirchen zählen, würden heute im Mittelpunkt eines kooperativen Ansatzes in der Außenpolitik stehen. Daher habe der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt entsprechende Arbeitsbereiche im Jahr 2016 eingerichtet, die die gut 200 deutschen Botschaften beraten und Entwicklungen im Ausland beobachten.

Das Thema „Reden über Frieden“ bedeutet für Frau Dr. Lechner den Einsatz für Frieden, den Zusammenhalt in Gesellschaften und die Menschenrechte. In der vernetzten Welt sollten Kirchen an die Politik appellieren und die Politik die Kirchen zur Mitverantwortung rufen. Strategische Partnerschaften bestünden mit Organisationen wie beispielsweise „Religions for Peace“. Diese lädt seit 1970 Menschen aller Religionen ein, sich gemeinsam auf der Grundlage der Friedenswerte ihrer Religion für den Frieden einzusetzen. Im vergangenen Jahr erst kamen auf der 10. Weltkonferenz in Lindau am Bodensee 900 geistliche Führer verschiedener Religionsgemeinschaften, aber auch gläubige Jugendliche und Frauen, aus über 100 Ländern gemeinsam mit 100 Regierungsvertretern, internationalen Organisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft zusammen.

Was Silke Lechner sich wünscht, wäre, dass die Kirchen stärker ihre „Hoffnungsbotschaft in die politischen Prozesse einbringen“. Sie erlebe öfter, dass kirchliche Vertreter nicht anders sprechen würden als welche, die von nichtstaatlichen Organisationen oder aus der Politik kommen. Provokant fragte sie, ob es der Kirche die Sprache verschlagen hätte? Dabei sollten sich die Kirchen und Religionsgemeinschaften auf ihr Alleinstellungsmerkmal besinnen. Zugespitzt formulierte Silke Lechner: „Bringen Sie die Theologie zum Klingen. Gerade die Poesie der religiösen Sprache kann Grenzen überschreiten.“ Sicherlich müssten die theologischen Dimensionen etwa beim Thema Frieden übersetzt eingebracht werden, aber authentisch und kräftig. Zugleich dürften die politischen Forderungen aber nicht unter den Tisch fallen, so die Expertin, die den nordkirchenweiten Friedensprozesses „Reden über Frieden“ zu dem der Studientag stattfand ausdrücklich lobte. .

Großer Redebedarf über Friedenthemen geht weiter

„Wir haben ein Jahr lang geplant und auf der Zielgeraden umgeplant“, blickt Ricarda Wenzel vom Vorbereitungskreis auf den für Rostock konzipierten Studientag zurück, der letztlich online stattfand: „Das war für viele Teilnehmende und auch uns eine ganz neue Erfahrung.“ Die lebhafte und angeregte Diskussion, die im Anschluss an die Vorträge für alle Teilnehmenden über Live-Chat ermöglicht wurde, habe gezeigt, „wie groß der Redebedarf in Friedensfragen ist. Das lädt dazu ein, miteinander im Gespräch zu bleiben, auch über diesen Studientag hinaus, denn viele Gedanken konnten nur angesprochen werden.“ Der Schweriner Heiner Möhring ergänzt: „Obwohl wir in Deutschland seit 75 Jahren im Frieden leben, sind die Probleme von Krieg und Gewalt im Zusammenleben der Menschen in unserem Land und weltweit immer drängender geworden und bedürfen dringend einer Lösung.“

So regen die Initiatoren des Friedensprozesses „Reden über Frieden“ an, diesen Austausch in Gemeindekreisen, in Schulen, im Religionsunterricht, Mitarbeiterkonventen und Diensten und Werken und in Zusammenarbeit mit kommunalen und interkulturellen Institutionen weiterzuführen. Auch die Internetangebote www.redenüberfrieden.de und #redenüberfrieden laden dazu ein, sich an der Diskussion zu beteiligen und über Hintergründe zu informieren.

Quelle: ELKM (cme)