Begegnungstag von KirchenkreisenDie anderen sind gar nicht so anders

Lübeck (rn). Unter dem Thema „Wer sind wir als Kirchenkreis in der Nordkirche“ fand am Sonnabend ein „Forum Kirchenkreis“ in der Lübecker Bugenhagengemeinde statt. Es war ein Tag mal ohne Impulsreferat oder Vortrag sondern nur mit Gesprächen – eine wohltuende kirchliche Arbeitsform – wirklich: ein Begegnungstag!

Zu Beginn kam „Frau Kunze“ in den Saal – noch mit Regenumhang und Jutetasche ausgerüstet. Die Harburger Pastorin Carolyn Decke zog in einer Clownerie Parallelen von Fusion, Ehe und Liebe – und Frau Kunze wußte Bescheid! Sie lebe schon seit siebeneinhalb Jahren mit ihrem Mann in einer Art „Fusion“. Der Pastor habe damals gesagt: Ihr werdet ein Fleisch sein – und das bei ihr als Vegetarierin! Überhaupt sei alles Wichtige weiblich, so Frau Kunze: Liebe, Kirche, Bundesregierung und eben: die Fusion! Frau Kunze fand, daß den Frauen wieder viel Verantwortung zugeschoben werde. Und im übrigen – so habe ihr Mann gesagt – ließen sich viele Probleme in der Ehe durch Gespräch beheben. „Das hat er wohl wieder in seiner Männerzeitschrift gelesen,“ meinte sie. Eine gelungene Clownerie, die die knapp 40 Menschen mit einem nachdenklichen Lachen in den Studientag gehen ließ.

Es folgten drei lange Runden Gespräche unterbrochen von einem Mittags- und Abschlußplenum mit Anmerkungen von jeweils einer Person, die die Gruppenarbeit beobachtete.

In den beiden Gruppen hatten – gelobt sei das Wort: paritätisch – die Mitglieder der drei Kirchen Zeit, ihre gegenwärtige Situation vorzustellen – und Pommern fing an. So sagte der Pfarrer Matthias Jehsert (Retzin), daß sie im Kirchenkreis Pasewalk schon jetzt überlegten, was sie beim Wegfall der bisherigen Superintendentur machen würden, die viel an Koordination und Postverkehr erledige.

Die Stralsunder Superintendentin Helga Ruch wies auf die Größe des künftigen Kirchenkreises Pommern hin – allein in ihrem Kirchenkreis seien es schon jetzt 150km von Ost nach West. Auch seien die Folgen der Kirchenkreisfusion von 1997 noch nicht ganz aufgearbeitet. Damals seien 14 Kirchenkreise auf vier reduziert worden und wenige Jahre später sei die gesamte Verwaltung in Greifswald konzentriert worden - Pommern ist schon fusionserfahren, meinte sie.

Die mecklenburger Berichtsrunde eröffnete Christoph de Boor. Es würden Regionalverbände in Nachfolge der bisherigen Propsteien gegründet, wo jede Gemeinde von vorneherein Mitglied sei, „aber was darin passiert, muß gemeinsam beschlossen werden,“ meinte er. Aus den jetzt fünf Kirchenkreisen würden vier Propsteien und er wies auf ein Problem hin: „Die einen behalten ihre Identität, weil was dazukommt und für die anderen bedeutet das, daß man seine Identität verliert und angeschlossen wird.“ Generell sei für ca. 10.000 Gemeindeglieder künftig ein Regionalverband vorgesehen. Landessuperintendent Dirk Sauermann (Parchim) nahm ein Stichwort auf, das alle weiteren Gespräche durchzog: Identität. Für die bisherigen Propsteien sei dies gegeben, „aber schon wenn man ein Gemeindeglied nach dem Kirchenkreis fragt, hört das auf.“

Petra Kallies, Pröpstin im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg sagte, daß auch ihr Kirchenkreis enorme Umstellungen in der Identität habe verkraften müssen: Bis 1977 seien Lübeck und Lauenburg selbständige Kirchen gewesen, mit der Gründung Nordelbiens dann Kirchenkreise und nun fusionierte Kirchenkreise. Beide Kirchenkreise hätten diese Fusion nicht gewollt und daher beschäftige sie ihre Fusion zur Zeit mehr als die Nordkirche.

Fusion habe auch mit Wahrnehmung zu tun. So meinte Pastorin Carolyn Decke, daß sie als Harburger sich auch fragten, ob sie „im hauptkirchengesäten Hamburg“ auch genug wahrgenommen würden. Wahrnehmung und vermeintliche Nichtwahrnehmung war ein weiteres Stichwort der Gespräche.

Der Hamburger Theo Christiansen unterschied zwischen Identitätsstiftung von Kirchenkreis und Kirchengemeinde – dies sei zu unterscheiden und nicht gegensätzlich zu sehen. „Zentrale Organisation und die Entwicklung von föderalen Strukturen ergänzen sich und wir brauchen beides,“ meinte er.

Der Nordelbier Brunken meinte, daß Fusionen Zeit bräuchten. „Es braucht auch Begleitung und es reicht nicht, nur etwas zu beschließen. Mit dem Tag der Fusion fängt die Arbeit erst richtig an,“ meinte er.

Nach der Mittagspause gab es ein Interview, gleitet vom mecklenburigischen Pressesprecher Christian Meyer. Darin fragte der Parchimer Landessuperintendent Dirk Sauermann, „warum es uns so wenig gelingt, von den inhaltlichen Voraussetzungen der Fusion zu sprechen. „Wir machen das ja nicht um der Fusion willen, sondern wir müssen sagen, warum wir drei eine Kirche sein wollen.“ Und Pröpstin Petra Kallies fügte hinzu: „Solange die Kirchenleitungen auf diese Frage keine vernünftige Antwort geben, können wir auch die Menschen in den Gemeinden nicht mitnehmen.“

Pastorin Isa Lübbers-Arndt, die im Kirchenkreis Hamburg-Ost für Organisationsentwicklung zuständig ist, mahnte an, „daß bei jeder Fusion die Betroffenen zu Beteiligten“ gemacht werden müßten. Im Hinblick auf eine Fusion, die sie erlebt habe, blickte sie positiv zurück: „Verloren habe ich die Eigenständigkeit in der Einzelpfarrstelle, aber jetzt habe ich ein Kollegenteam gewonnen.“

Die Stralsunder Superintendentin Helga Ruch stellte im Interview nüchtern fest, daß sie eine Entdeckung gemacht hätte: „Die andern sind gar nicht so anders als wir und wir können etwas gewinnen, wenn wir über den eigenen Tellerrand hinausblicken.“

Die immer intensiver werdende Veranstaltung ging mit der Sammlung von „Schätzen“ weiter. So sei die mecklenburgische Kirche mit ihren kleinen Propsteien überschaubar und das sei eine gute Arbeitsgröße, stand auf einem Plakat. Nordelbien sei sehr stark von unten aufgebaut und auch das habe seinen Reiz und biete große Gestaltungsräume – das mache Mut zur Fusion. Auch habe etwa die pommersche Kirche gerade durch die Geschichte mit „Pommern“ auch künftig einen hohen Identifikationswert, der gerade durch die Kirchenkreisfusionen in Nordelbien zerbrochen worden sei, meinte ein Teilnehmer.

Zu den Schätzen gehöre auch die starke Stellung der Kirche in der DDR-Zeit wurde betont und aus Hamburger Sicht wurde die säkulare Umwelt als Ergänzung und als Herausforderung angesprochen.

Insgesamt war es ein Tag zunehmender Dichte in den Gesprächen und die überschaubare Zahl der Teilnehmenden war gerade dafür ein Vorteil. Deutlich wurde durch das Erzählen die Nähe in den Problemen und auch die Anregung, die die verschiedenen Kirchenkreise sich geben können. Dies spricht für Begegnungsaktionen von Kirchenkreisen – ähnlich, wie viele Gemeinden dies schon teilweise seit Jahrzehnten praktizieren. Die eigene Geschichte einander erzählen bringt Nähe und so werden aus Betroffenen auch Beteiligte.

Rainer Neumann

(29.8.2010)