Skandinavische Baukunst auf einer slawischen Tempelburg? Die Kulthalle am Kap Arkona

Von Christine Senkbeil

Schönste Ausblicke bei der Arbeit bieten sich Benno Zander (l.) und André Rockenfelder an der Grabungsstelle.

Foto: Christine Senkbeil

26.07.2015 · Kap Arkona/Insel Rügen. Es gab wohl doch nicht immer nur Streit auf der Tempelburg der Slawen. Forscher fanden nun Reste einer slawischen Kulthalle in skandinavischer Bauart. Ist sie Zeugnis eines kulturellen Austauschs? Eine neuer Blick auf Leben und Kult unserer Vorfahren.

Die Sonne steht hoch uber dem Kap, das als nordlichster Punkt der DDR in den Heimatkundebuchern verzeichnet war. Der Blick von hier oben, 40 Meter über der See, konnte bis Schweden reichen, wurde er sich nicht irgendwo im Blau verlieren. Die Menschen, die hier schaufeln, sieben und Detektoren tragen, richten ihre Blicke auf den Boden, statt übers Meer. Und doch wird ihnen dabei ein Blick bis Skandinavien möglich. Aber beginnen wir von vorn.

Es ist ein ganz normaler Dienstag an der Ausgrabungsstelle Kap Arkona. „Eine Notgrabung“, wie Fred Ruchhöft, wissenschaftlicher Projektleiter, erklärt. Innerhalb des slawischen Burgwalls sind Bänder gespannt, Flächen knietief ausgehoben. Zehn, fünfzehn Grabungsarbeiter „holen, was zu holen ist“, sagt Detlef Jantzen, Landesarchäologe von Mecklenburg-Vorpommern. Das ganze Unternehmen ist ein Wettlauf mit der Zeit, ein Tauziehen der Archäologen mit Wind und Meer. „Die Ostsee halt sich leider nicht an das Erhaltungsgebot für Küstengebiete, sondern knabbert jährlich einen halben Meter vom Kap einfach ab“, klagt Jantzen.

Darum die Bergsteiger-Sicherungen für die beiden Arbeiter, die vorn an der Kliffkante arbeiten. Ruchhöft und Jantzen fuhren die Gruppe Journalisten quer über das Terrain bis zu diesen beiden Löchern. „Es geht 40 Meter runter, hier kann immer mal was abbrechen“, erläutert Grabungsarbeiter Benno Zander, der dort gerade einen Eimer mit trockengedorrten Lehm füllt. „Sommerfrost“ nennen die Archäologen diesen Zustand des Bodens, in dem die Erde ihre Fundstücke kaum leichter als Eis hergibt.

"Einzigartige Deponierungen“

Zwei Löcher sind es also, die heute im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die „rätselhaften Steingruben“, wie Fred Ruchhöft sie augenzwinkernd nennt. Das, worauf er jetzt zeigt, sieht aus wie ein überdimensioniertes Osternest mit sehr harten Eiern. Ein Laie wurde wohl achtlos „Steinhaufen“ dazu sagen. Fur das Grabungsteam aber sind dies „einzigartige Deponierungen“ und Anlass zum Jubel. „Von Sensation mag ich nicht sprechen, aber diese Funde sind wirklich eine richtig große Überraschung“, versichert Jantzen.

Denn nach Analyse aller Umstände bilden die Steingruben sozusagen ein Panoramafenster in die Vergangenheit. Wir stehen an diesem sonnigen Dienstag, tata tata, vor den Grundpfeilern einer slawischen Kulthalle, die anders war als alles, was je im slawischen Raum zwischen Elbe und Polen gefunden wurde. „Eines der wichtigsten Heiligtümer der slawischen Welt“, sagt Ruchhöft .

Den Lehmeimer hat Grabungsarbeiter Andre Rockenfelder inzwischen zu den Fachfrauen an den Siebtisch gebracht. Hacken prasseln hier auf faustgroße Brocken. „Da, ein Ohrring“, entdeckt Heide Grosnik, die seit Jahren als ehrenamtliche Bodenpflegerin auf Arkona arbeitet. So einige der 30- bis 40 000 Fundstücke gingen durch ihre Hand und wurden vom Team in Tütchen gepackt und katalogisiert. Das Areal um den Burgwall ist eine echte Fundgrube.

"Wie beim Goldschürfen“

Was durchs Sieb fällt, schlemmt Ines Paulitz noch einmal ein und sprüht es über einem feineren Sieb so lange ab, bis nur noch Steinchen bleiben. „Wie beim Goldschürfen“, sagt die Straßburgerin, fischt ein Stücken Grate heraus und steckt es in ein Tütchen. „Das untersuchen wir auch. Es zeigt, wie sich die Leute so ernährten.“ Fred Ruchhöft erläutert nun, wie es von den Stein-Osternestern zu der Erkenntnis kam, hier hatte eine Kulthalle gestanden.

„Die erste dieser Gruben wurde 1999 ausgegraben“, blickt er zurück. 2003, 2005 und 2013 fand man weitere „Opfergruben“, wie man dachte.  Ruchhöft wurde 2012 vom Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege beauftragt und glaubte nicht an diese Theorie. „Dann hätten wir mehr Knochen gefunden“, sagt er. Stattdessen fand man Geld und schone Perlen. Alle Steinlöcher in eine Karte gemalt ergaben aber plötzlich eine Struktur. Was, wenn es Pfostengruben waren? Wenn die Steine einfach Holzpfosten hielten? Ein schiffsförmiger Grundriss von acht Pfosten ergab sich. Von fünfen, genauer gesagt. Einer ragte bereits über die Kliffkante. Die fehlenden zwei waren noch unter der Erde, wurden aber fieberhaft gesucht. Tatsachlich traten sie an vermuteter Stelle zu Tage. „Da haben wir doch mal gefeiert“, sagt er schmunzelnd.

Eine Halle stand also da, wo das Land heute aufhört, acht mal zehn Meter groß. Weit weg vom Meer, vermutlich. „Wir sind dem slawischen Kult mit diesem Fund mehr auf die Schliche gekommen“, sagt Ruchhöft. Doch wie die Kulthalle genutzt wurde – das bleibt im Verborgenen. „Wir wissen nur, dass dieses Gebäude nicht der eigentliche Tempel mit der Götterfigur des Svantevit war“, sagt Jantzen. Denn der sei längst im Meer verschwunden. Es sei aber eine Art Prestigebau, schon die Ausmaße sprachen dafür. Ein Gebäude, das eben nicht für alltägliche Handlungen, nicht für Wohnzwecke benutzt wurde. „Gewohnt wurde weiter hinten“, erläutert Ruchhöft und weist auf die Grabungen in Richtung Burgwall. Grabungsarbeiter finden dort massenweise Zeugnisse des Alltags. Abfallgruben mit Graten und Knochen. Geschirr. Pfeilspitzen, die in Schlachten liegen geblieben und später im Haushalt verwendet wurden.

Slawische Kultstätte nach skandinavischem Vorbild?

Fred Ruchhöft zeigt ein Bild, das Zeichner Ulrich Schede entworfen hat. So konnte das Gebäude ausgesehen haben. „Die Konstruktion kennen wir aus Tissoe in Dänemark und Uppakra in Schweden“, sagt Ruchhöft – und gelangt damit zum zweiten spektakulären Ergebnis der Untersuchung. Eine slawische Kultstätte, erbaut nach skandinavischem Vorbild? „Das heißt, die Slawen lebten eben nicht in ihrer eigenen Welt, sondern hatten durchaus Kontakte. Es gab Einflüsse aus Skandinavien, möglicherweise bauten sogar dänische Bauherren hier auf slawischen Gebiet“, sagt er. Das spräche für einen Austausch – einen friedlichen, genauer gesagt. Inzwischen hat auch Ines Paulitz am Sieb Metall aus einem Lehmklumpen gepolkt. Einen kleinen Ring legt sie Fred Ruchhöft in die Hand. Schmuck? Der Archäologe schüttelt den Kopf. „20 000 Stück davon ergeben ein Kettenhemd“, sagt er. Nach einem Zeugnis des Friedens sieht dies nicht aus.

„Arkona war zwar immer ein Zankapfel“, gibt er zu. Durch frühere Grabungen am Wall seien fünf große Zerstörungsphasen belegt. „Aber dazwischen gab es vermutlich auch immer wieder lange Friedensphasen, in denen gehandelt und sich ausgetauscht wurde.“

Führungen ohne Anmeldung immer Montag bis Donnerstag um 14 Uhr.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 30/2015