Heute gibt es rund 350 unterschiedliche kirchliche Gemeinschaften Der Traum von der Einheit in Vielfalt

Von Tilman Baier

„Ertragt einer den anderen in Liebe“: Bischöfe und geistliche Leiter verschiedener Konfessionen in Deutschland auf einem gemeinsamen Pilgerweg auf den Spuren Luthers, hier vor der Thesentür der Schlosskirche in Wittenberg (2013).

Foto: epd/J. Schlüter

24.05.2015 · Schwerin. Jedes Jahr zu Pfingsten wird die Trennung der Konfessionen als Skandal benannt und der Heilige Geist angerufen, dass er die Spaltungen überwinde. Das Ziel, so heißt es immer wieder, ist die Einheit der Kirche Jesu Christi. Doch wie soll diese Einheit aussehen? Oder ist gerade die Unterschiedlichkeit ein Gewinn? Daran scheiden sich die Geister.

Sie gehört zur lutherischen Landeskirche, er ist in einer katholischen Pfarrgemeinde aktiv. Sie wollen heiraten mit dem gemeinsamen Segen ihrer beiden Kirchen. Geht das? Und später, wenn sie gemeinsam Abendmahl feiern wollen – geht das auch? Und wie wird es mit der Taufe der gemeinsamen Kinder? Gibt es so etwas wie eine „doppelte Kirchenmitgliedschaft“? Und dürfen Paten einer anderen Konfession angehören? Und darf ich einen Geistlichen einer anderen Kirche bitten, die Beerdigung eines nahen Angehörigen zu übernehmen? Fragen über Fragen, die auftreten, wenn die so oft beschworene Ökumene ganz praktisch wird.

Vielfalt fordert heraus und bereichert

Für Gläubige unterschiedlicher Konfessionen in Deutschland sind Begegnungen zwischen Gemeinden oder das Zusammenleben in der Nachbarschaft meist kein großes Problem mehr. Das war noch vor 50 Jahren nicht selbstverständlich. Oft wird die Andersartigkeit der Gottesdienste und des Gemeindelebens heute sogar als Bereicherung empfunden.

Schwieriger wird es, wenn in einer Familie unterschiedliche Glaubensrichtungen aufeinandertreffen. Denn es sind ja nicht nur die Kirchen, die im Umgang mit anderen Konfessionen ihre je eigenen kirchenrechtlichen Regelungen haben. Bei konfessions - verschiedenen Ehen treffen tief reichende, unterschiedliche Prägungen aufeinander. Dagegen ist die Frage „Wie und wo feiern wir Weihnachten?“, die auch in nichtchristlichen Ehen zu viel Streit führen kann, ein Kinderspiel.

Was heute noch zu Streit in konfessionsverschiedenen Großfamilien führen kann, hat über Jahrhunderte Unfriede gestiftet und Kriege befeuert. So bedeutete im lutherisch geprägten Mecklenburg noch Anfang des 20. Jahrhunderts der Satz „De is doch katholisch“ : Der lügt, der betrügt.

Ob Dreißigjähriger Krieg oder Bismarcks Kulturkampf gegen den Vatikan, oder, oder, oder: Die Christen haben in ihrer Geschichte nun wahrlich kein besonders gutes Vorbild für ein gelingendes Miteinander abgegeben, obwohl sie sich doch auf dieselbe Grundlage ihres Glaubens berufen: auf das Evangelium.

Welche Einheit wollen wir?

Dass eine solche zerstrittene Christenheit für die restliche Welt allerdings ein schlechtes Zeugnis für ihren Glauben und ihre Botschaft ist – diese beschämende Einsicht begann sich vor rund 100 Jahren durchzusetzen. Die ökumenische Bewegung in Richtung Einheit der Christen entwickelte sich Schritt für Schritt, Gespräch für Gespräch.

Die entscheidende Frage dabei ist seitdem: Welche Einheit wollen wir? Ist es eine Einheit, wie die katholische Kirche sie praktiziert? Unter ihrem weiten Mantel finden ganz unterschiedliche geistliche Strömungen in den verschiedensten Kulturen weltweit Platz – solange sie sich in die Institution unter einem geistlichen Oberhaupt einfügen, das seit dem I. Vatikanischen Konzil vor 150 Jahren als Letztinstanz entscheiden kann, was zu glauben und was zu verwerfen ist.

Oder wollen wir eine Einheit wie die zwischen den orthodoxen Kirchen, die zwar auch straff hierarchisch geleitet werden, aber als Nationalkirchen kulturell eigengeprägt und eigenständig sind und mit dem ökumenischen Patriarchen in Istanbul nur einen übergreifenden Ehrenvorsitzenden haben? Oder wollen wir einen losen Verbund der unterschiedlichen Konfessionen, wie er im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) zwischen Protestanten und Orthodoxen und Altorientalen existiert – oder in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), die immerhin ihre Taufen gegenseitig anerkennen?

Gleich, wie man diese Frage beantwortet – die Vielstimmigkeit des christlichen Glaubens ist so alt wie die Kirche selbst. Schon die Briefe und die Evangelien im Neuen Testament zeigen die unterschiedlichen Prägungen der Gemeinden, an die diese Schriften gerichtet waren.

Mehr als 350 Kirchen gibt es weltweit

Dabei beziehen sich alle, aber eben auf unterschiedliche Weise, auf Jesus Christus. Und immer wieder wurde um den richtigen Glauben, die wahre Lehre, um Regeln für den Alltag gerungen (siehe Beitrag unten). Und es wurden und werden immer noch unterschiedliche Antworten darauf gefunden. Immer wieder wurden neue Ideen aufgegriffen oder verworfen, es bildeten sich neue Glaubensgemeinschaften. Heute gibt es weltweit mehr als 350 christliche Kirchen und kirchliche Gemeinschaften.

Vor allem seit dem 19. Jahrhundert ist die Bereitschaft gewachsen, sich gegenseitig als Gesprächspartner anzuerkennen, sich zu vernetzen und zusammenzuarbeiten. Diese ökumenische Bewegung betont den gemeinsamen Bezugspunkt der vielfältigen Glaubensgemeinschaften: den einen Gott, der in seinem Sohn Christus in diese Welt kam. Unterschiedliche kulturelle Hintergründe, Traditionen, Nationalitäten, Gesinnung oder Geschlecht sollen diese Einheit im Glauben nicht einschränken.

Ein Wort aus dem Epheserbrief (4, 1-6) ist dabei Richtschnur: „Ertragt einer den anderen in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung ...“ (siehe Artikel links unten). Dafür gibt es feste Gemeinsamkeiten: die Bibel als Grundlage kirchlichen Handelns, die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse sowie die Taufe.

1982 haben die Mitgliedskirchen des ÖRK in der sogenannten Lima-Erklärung ihre Übereinstimmung im Verständnis der Taufe festgestellt. Solche Basis für die gemeinsame Feier des Abendmahls steht noch aus – ebenso für das Priesteramt.

Wenn die Vielfalt des gelebten Glaubens zum Wesen des Christentums gehört, so muss es um eine Einheit in Vielfalt gehen – zunächst zu einer versöhnten Verschiedenheit. Volle Einheit wird es erst, das meinten schon die Autoren des Neuen Testaments, im vollendeten Reich Gottes geben.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 21/2015