Querelen um die Gestaltung des Landeserntedankfestes "Das ist nicht unser Erntedankfest“

Von Christine Senkbeil

Typisch Hiddensee: magere Wiesen, Dornenbüsche und Leuchttürme. Untypisch: Felder mit Korn. Dennoch wird genau auf dieser Insel am 6. Oktober Landeserntedankfest gefeiert. Mit einem sehr untypischen Programm.

Foto: Rainer Neumann

05.10.2019 · Insel Hiddensee. Gott danken oder zu Musik von Jürgen Drews tanzen – schließt sich das aus? Das Landeserntedankfest 2019 macht nicht nur Schlagzeilen, weil es dort stattfindet, wo es eigentlich gar nichts zu ernten gibt. Auch das Festprogramm mit vielen Stars und wenig Landwirten stößt auf Kritik. Die Kirchengemeinde macht gute Miene zum merkwürdigen Spiel – und lädt herzlich zum Gottesdienst ein. Mit echter Kirchenmusik.

Gott danken oder zu Musik von Jürgen Drews tanzen – schließt sich das aus? Das Landeserntedankfest 2019 macht nicht nur Schlagzeilen, weil es dort stattfindet, wo es eigentlich gar nichts zu ernten gibt. Auch das Festprogramm mit vielen Stars und wenig Landwirten stößt auf Kritik. Die Kirchengemeinde macht gute Miene zum merkwürdigen Spiel – und lädt herzlich zum Gottesdienst ein. Mit echter Kirchenmusik.

Von Christine Senkbeil Insel Hiddensee. „Schlagerdankfest Hiddensee 2019“ steht auf die Treppe zur Inselkirche in Kloster auf Hiddensee. Auf die Stufen gesprüht wie eine Werbung. Doch es ist bissiger Spott. Offenbar hat hier jemand seinen stillen Protest gegen die inhaltliche Ausrichtung dieses Landeserntedankfestes im Wortsinne „versprüht“.

Was passiert da auf der kleinen lauschigen Insel? Während Bürgermeister und Kurverwaltung fieberhaft an der Umsetzung ihres „Festes der Fischer und Landwirte“ arbeiten, wie sie auf Facebook posten, äußern einige Bewohner ihren Unmut über die große „Schlagerparty“ auch lauter. Noch mehr Besucher auf der Mini- Insel, zu den 3000 Tagesgästen der Hochsaison. „Wir werden doch so schon überrannt“, ist auf der kleinen Insel zu hören. „Und was haben wir davon? Nur die Autoblechlawine“ auf der größeren Insel davor.

Doch neben den logistischen Problemen, wenn ein Großevent mit 8000 erwarteten Besuchern auf eine 1000-Einwohner-Insel verlegt wird, ist es auch der Charakter eines „Erntedankfestes“, das viele in dem Festprogramm nicht mehr entdecken. „Hauptmann oder Ballermann?“, fragen weitere Schriftzüge quer über die Insel verteilt. Des Bürgermeisters Hoffest?

Protest landet auf den Kirchenstufen

Tatsächlich erinnert die „Highlightwoche“ gewaltig an ein Hotel-Animations- Programm à la Mallorca: Stars und Sternchen wie Jürgen Drews, „Blümchen“ und Kerstin Ott rocken für die Ernte. Auf der Bühne in ihrer Nebentätigkeit als Sängerin auch die neue Kurdirektorin der Insel, Vanessa Marx (25), die „Botschafterin des Landeserntedankfestes“, die mit ihrer Party-Schlager-Gute-Laune-Coverband „Cherry Dolls“ als Vorband auftritt. Ein Andrea-Berg Double kommt, jede Menge Comedy gibt’s nebst Travestie- Show mit der „Bösen Peggy“.

Dass der Protest nun ausgerechnet auf den Kirchenstufen landet, findet Inselpastor Konrad Glöckner reichlich verfehlt. „Wir haben mit der gesamten Ausrichtung und Art der Gestaltung des Landeserntedankfestes nun wirklich nichts zu tun“, weist er von sich. Er selbst erfuhr überhaupt erst aus der Tagespresse, dass das Fest 2019 auf seiner Insel ausgerichtet werden soll. „Mit uns als Kirchengemeinde hat vor der Bewerbung niemand gesprochen“, sagt er. Als er die Botschaft auf den Kirchenstufen fand, hat er darum eine Erklärung in den Schaukasten gehängt, die darüber informiert, dass die Verantwortung für diese Art Fest der Veranstalter trägt, die Gemeinde Seebad Insel Hiddensee, „nicht unsere Kirchengemeinde“.

Sie hätten aber nun die Aufgabe, den jährlichen Erntedankgottesdienst diesem erweiterten Rahmen anzupassen. „Auf keinen Fall möchten wir, dass sich die Gäste nicht eingeladen fühlen, zu uns zu kommen und mit uns Gottesdienst zu feiern“, sagt Glöckner. Wie in jedem Jahr wurde ein fröhlicher Gottesdienst vorbereitet. Ebenfalls mit viel Musik: Kreiskantor Frank Thomas aus Bergen spielt noch im Anschluss an den Gottesdienst in der Kirche. Diesmal gibt es sogar drei davon in Kloster: Auf kirchlichem Gelände wird ein Zirkuszelt mit etwa 150 Plätzen auf Familien mit Kindern warten. Der Stralsunder Jugendwart Hansi Hartmann und sein Team behandeln dort mit dem Märchen von der Regentrude auf kindgerechte Art das Thema Erntedank: Was passiert eigentlich, wenn kein Regen mehr fällt?

Der Hauptgottesdienst, in dem Landesbischöfin Kristina Kühnbaum- Schmidt predigt, findet in der Inselkirche Kloster statt. „Die fasst aber nur 180 Menschen und bietet zum Erntefest-Gottesdienst schon in ‚normalen‘ Jahren nicht genug Platz“, sagt Glöckner. In einem großen Festzelt in Kloster, bestuhlt mit 200 Plätzen, läuft darum parallel ein weiterer Gottesdienst, den ein Kurprediger gestaltet – mit eigener Liturgie und Musik. „Nur die Predigt wird dann live aus der Inselkirche für alle übertragen“, erklärt Glöckner.

Überforderung für die Kirchengemeinde

In Vitte im großen kommunalen Festzelt läuft eine Videoübertragung des Kirchengottesdienstes. „Damit die Gäste, die sich nicht nach Kloster aufmachen wollen, auch die Möglichkeit haben, den Gottesdienst zu verfolgen“, sagt Glöckner. Ihm sind die Anstrengungen der vergangenen Wochen anzumerken sind. Mit etwa 600 bis 800 Gästen, die anschließend zum Agape-Mahl in den Pfarrgarten eingeladen sind, rechnet der Pastor. Politiker, Kirchenvertreter und Gäste gemeinsam bei Weintrauben und Brot. „Wir möchten gern, dass dann auch nochmal eine Stunde Zeit für gemeinsame Gespräche ist“, sagt er. Bevor dann das kommunale Programm startet mit dem großen Festumzug – und von Pastor und Gemeinde eine tonnenschwere Last fällt.

Gibt es da noch Vorfreude auf das große Fest? „Ein Gottesdienst ist immer etwas Schönes!“, sagt er. „Wir freuen uns auf die Menschen und sind gern Gastgeber“, versichert er. „Doch die Herausforderung, nein, eigentlich die Überforderung, ist so groß, dass es gerade vor allem darum geht, diesen Tag zu bewältigen.“

Bürgermeister Thomas Gens selbst, der gemeinsam mit Kurdirektorin Marx Veranstalter des Festes ist, gibt sich begeistert über die Kirchengemeinde. „Sie haben ein tolles Programm auf die Beine gestellt“, sagt er und lobt die Zusammenarbeit. Besonders freue er sich, dass die Landesbischöfin auch nach dem Gottesdienst noch bleiben und mit auf Festumzug gehen möchte. Die Ausrichtung auf Landwirtschaft sieht er durch die Show-Fülle nicht gefährdet. „Wir sind ja traditionell sehr mit Fischerei und Landwirtschaft verbunden. Darum bieten wir einen umfangreichen traditionellen Teil an unseren Thementagen an“, sagt er.

Im Showprogramm ist davon allerdings nichts zu lesen, weder am Schlager-, noch am Comedy-, noch am Country-Tag. Ein Rohrdachdecker sei zum Schaudecken eingeladen, Handwerker der Region, im Fährort Schaprode gebe es einen Fisch- und Wollmarkt. „Und unsere Landwirte der Insel sind natürlich auch dabei“, sagt Thomas Gens.

"Ein Affront gegen die Bauern im Land"

Den Landwirt Sven Knudsen (Name auf Wunsch geändert) wundert dies. Er ist Pächter kirchlicher Wiesen, führt einen ökologischen Betrieb – und durfte nicht mitmachen. Seine Ziegen und Schafe, um die 200 Tiere, stehen auf dem Bessin, den Magerwiesen im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, um das Gebiet offen zu halten. „Eine ostpreußische Sorte“, erzählt er, deren Wolle sie selbst verwerten: waschen, kandieren, verspinnen und schließlich zu Teppichen verweben. Wie das geht, wollte er auf dem Fest zeigen. „Ich habe der Gemeinde zweimal meine Mitarbeit angeboten“, sagt der Züchter, der in Westfalen lebt. Er habe keine Antwort bekommen, sagt er.

„Der Gemeinderat hat sich dagegen entschieden“, erklärt der Bürgermeister auf Nachfrage der Kirchenzeitung. Es gebe Streitigkeiten mit ihm, und es sei auch „keine richtige Landwirtschaft“, die er betreibe. Richtige Landwirtschaft allerdings, mit Säen und Ernten und echtem Korn, gibt es auf der ganzen Insel längst nicht mehr. Zwei Agrarbetriebe nutzen 125 Hektar vor allem als Weideland für Schafe, Pferde und wenige Rinder. Weder Getreideanbau noch Schweine- oder Milchviehhaltung ist auf Hiddensee zu finden. – Was im Vorfeld auch zu einiger Verwunderung darüber geführt hat, warum gerade hier ein Landeserntedankfest gefeiert werden soll.

Von einem Alleingang des Bürgermeisters ist in der Presse die Rede. Von einer „Schnapsidee“, da zu feiern, wo es nichts zu ernten gibt. „Es ist ein Affront gegen die Bauern im Land, wenn fern ab von der eigentlichen landwirtschaftlichen Produktion auf einer Insel im Nationalpark gefeiert wird, wo es bestenfalls Landschaftspflege und Pferdetourismus gibt“, sagte Christian Ehlers, der Geschäftsführer des Bauernverbandes Nordvorpommern kürzlich der Ostsee-Zeitung. „Und es ist ein Affront gegen unsere evangelische Glaubensgemeinschaft, wenn an diesem kirchlichen Feiertag nach einem Alibigottesdienst statt in Dankbarkeit für die eingebrachte Ernte mit den Bauern zu feiern, gemeinsam ‚mit dem König von Mallorca‘ die Insel ‚gerockt‘ wird.“

Ein „Alibigottesdienst“ ist es für Konrad Glöckner nicht, auch wenn er sich instrumentalisiert fühlt. Er möchte mit den Gästen einen fröhlichen Gottesdienst feiern und ein gemeinsames Agapemahl halten. „Von dem Rest distanzieren wir uns – das ist nicht unser Erntedankfest!“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 40/2019