Elisabeth Cruciger – die erste Poetin der Reformation

Schivelbein / Świdwin. Wer hat schon mit 24 Jahren ein Lied im Gesangbuch stehen, dazu ein Lied das bis heute in den Liederbüchern steht und hohe Wertschätzung erfährt? Elisabeth Cruciger hat das geschafft, und zwar schon 1524 im Wittenberger Gesangbuch. Es ist das Lied „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ und steht unter der Nummer 67 im Gesangbuch.

 

Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte fuhren am 16.4.2016 in ihren Geburtsort Schivelbein / Świdwin zu einer gemeinsam mit der evangelischen Kirchengemeinde Köslin / Koszalin veranstalteten Konferenz in ihrem Geburtsort. Daran nahmen auch Jerzy Samiec, leitender Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen und Prof. Dr. Marcin Hintz, Diözesanbischof in Pommern-Groß Polen, sowie der Landrat der Region, teil. An der Teilnahme der beiden Bischöfe konnte man die Wertschätzung dieser ersten Poetin der Reformation durch die Kirche erkennen.

 

Dr. Małgorzata Grzywacz von der Universität Posen hielt einen Vortrag über „Elisabeth Cruciger – Werk und Leben“. Elisabeth von Meseritz, wohl um 1500 geboren, wurde in jungen Jahren Nonne in Treptow an der Rega. Dort lehrte Johannes Bugenhagen die auch die Schwestern in biblischer Theologie. Diese Begegnung war schicksalhaft, denn wenige Jahre später gibt die junge Nonne ihre ganze Existenz auf und geht, wie Bugenhagen zuvor, nach Wittenberg, ins Zentrum der Reformation. Dort bekommt sie bei Bugenhagen Unterkunft. Sie heiratet 1524 den Bibelwissenschaftler und Wittenberger Prediger Caspar Cruciger und lebt in anregender Atmosphäre der Reformatoren. Sie führte eine glückliche Ehe, die allerdings nur elf Jahre währte, denn sie starb 2.5.1535. Das Paar hatte zwei Kinder; die Tochter heiratete Johannes Luther, einen Sohn des Reformators.

Ihr Lied, übrigens das einzige von ihr, das erhalten ist, atmet die alte klösterliche Lyrik der Christusfrömmigkeit. Sie bindet neue Formen hinein, lässt dazu die mystische Ebene durchscheinen und gibt ihrem Text einen sinnenhaften Klang, erläuterte Grzywacz.

Kaum zu glauben, dass man ihr im 18. Jh. die Autorschaft absprach, denn so etwas könne keine Frau geschrieben haben, behauptete man allen Ernstes und sprach das Lied einem Mann zu. Heute aber steht ihr Name selbstverständlich unter diesem, in jungen Jahren geschriebenen Lied.

 

Den Einführungsvortrag in die Konferenz hielt Dr. Wilhelm Hüffmeier, ehemaliger Präsident der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union und langjähriger Präsident des Gustav-Adolf-Werkes. Er ging in seinem lebendigen und teilweise gesungenen Vortrag über „Martin Luther, die Musik und das Kirchenlied“ auf die besondere Bedeutung ein, die die Musik für die Persönlichkeitsbildung des Reformators gehabt habe. Musik und Theologie vertrieben den Teufel, so sei es von Luther überliefert worden. Die Lutherchoräle stellten den vielleicht entscheidenden Beitrag für Gemeindebildung und lebendigen Gottesdienst dar, sagte Hüffmeier. Die Lieder waren – nicht nur im 16. Jahrhundert – das Kennzeichen der erneuerten Kirche und vermittelten die reformatorischen Einsichten in das Volk.

 

Bischof Jerzy Samiec stellte in seinem Grußwort eine Verbindung her zwischen der ersten Liederdichterin des Protestantismus und der Beratung auf der letzten Tagung der Landessynode seiner Kirche über die Frauenordination. Erstmals in der Geschichte habe es eine synodale Mehrheit für die Ordination von Theologinnen zum Pfarramt gegeben, wenn auch die nötige Zweidrittelmehrheit zur Änderung der Kirchenordnung nicht erreicht wurde. Keinen Zweifel könne es aber daran geben, dass die Stimme von Frauen unverzichtbar und von Beginn an zum Zeugnis einer reformatorischen Kirche gehöre, daran zu erinnern helfe das Gedenken an Elisabeth Cruciger, sagte Samiec.

 

Bischof Prof. Dr. Marcin Hintz fasste in seinem Schlusswort den Ertrag der beiden Referate und der Diskussion zusammen und äußerte seine Dankbarkeit für die Veranstaltung, die dazu beitrug, die historischen Wurzeln evangelischen Bekenntnisses auch im heute polnischen Pommern nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Er sprach zugleich eine Einladung zu einem festlichen Reformationsgedenken im Mai 2017 in Danzig / Gdansk aus, auf der auch Theologie und Musik im Mittelpunkt stehen würden. Als Höhepunkt sei die Aufführung von Mendelssohns Reformationssinfonie in der Danziger Philharmonie geplant.

 

Dr. Christoph Ehricht / Rainer Neumann