"Öffnen und verdichten" Christliche Unternehmer: Perspektiven für den ländlichen Raum

Von Nicole Kiesewetter-Müllejans

10.02.2014 · Neubrandenburg. Unter dem Motto „Perspektiven für den ländlichen Raum“ kamen auf Einladung von Pröpstin Christiane Körner Ende Januar rund 50 Unternehmer in St. Johannis Neubrandenburg zusammen.

In den vergangenen 20 Jahren hat Mecklenburg-Vorpommern immer mehr Einwohner verloren – ein Trend, der nach Einschätzung der Demografen nun zumindest gestoppt werden konnte. Dennoch: Die Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter. Und: Die Jungen ziehen weg, weil sie in anderen Teilen Deutschlands häufig bessere Qualifizierungsmöglichkeiten haben und für die gleiche Arbeit mehr Geld verdienen als in ihrer Heimat.

Wie kann, wie soll es angesichts dieser Entwicklungen weitergehen im nordöstlichsten Bundesland? Mit diesem Thema beschäftigte sich die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Unternehmer.

„Wir lassen zu viele gute Leute abwandern“

Für den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte skizzierte Dezernentin Ingrid Sievers die Situation: Als größter Kreis der Republik ist ihr Landkreis mehr als doppelt so groß wie das Saarland. Dabei gibt es mit durchschnittlich 49 Einwohnern pro m² und einer Arbeitslosenquote von 13,9 Prozent nur eine sehr geringe Kaufkraft. Wirtschaftlich ist der Kreis von Landwirtschaft und Tourismus geprägt.

Als kritisch bewertet die Dezernentin vor allen die Fachkräfteproblematik: „Wir lassen zu viele gute Leute abwandern.“ Bei der einfachen Formel „Guter Lohn für gute Arbeit“ liege man im Landkreis weit hinter den Erwartungen. Als Potentiale für die Region nannte Ingrid Sievers vor allem „die gute Natur, die gute Kulturlandschaft und die regenerativen Energien“.

Professor Sebastian Brandl von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Schwerin wies darauf hin, dass es angesichts der demografischen Situation besonders darum gehen müsse, junge Leute im Land zu halten und so den Fachkräftebedarf zu sichern.

Es sei nötig, die Zahl der Schulabbrecher zu reduzieren, um ein größeres „Potential“ an jungen Menschen zu haben. Die Auszubildenden wiederum müssten mehr Möglichkeiten der Weiterqualifikation bekommen. Gleichzeitig müsse sich das Land um mehr Zuwanderung bemühen, so Brandl. Insgesamt gehe es darum, Arbeitnehmer besser zu „pflegen“, d.h., ihre Arbeitsbedingungen und die Wertschätzung ihrer Arbeit zu verbessern.

OKR Bartels: Ungleichwertigkeit Teil der politischen Planung

Oberkirchenrat Matthias Bartels, Greifswald, plädierte dafür, die Idee aufzugeben, die Unterschiede zwischen den Regionen in Deutschland glätten und die Lebensverhältnisse der ländlichen Bevölkerung an jene der Städter anzugleichen zu wollen. Vielmehr müsse die Ungleichwertigkeit Teil der politischen Planung werden. Ihm liege daran, das Thema Vielfalt positiv zu sehen und zu fördern. „Könnte es nicht sein, dass wir bisher viel zu sehr auf einheitliche Entwicklungskonzepte gesetzt haben, in Bezug auf die Kommunen und auch in Bezug auf die Kirchengemeinden?“, fragt Bartels. Dazu gehöre auch die Überlegung, ob in Zukunft beispielsweise in allen kleinteiligen kirchlichen Einheiten ein „Vollprogramm“ aufrechterhalten werden könne und solle.

Bartels zitierte den Berlin-brandenburgischen Bischof Dröge, der gesagt hat „… wir brauchen einen Umdenkprozess: Die Kirchengemeinden dürfen sich um des Evangeliums willen nicht auf Strukturen und Muster zurückziehen, die nicht mehr zukunftsfähig sind. Um es mit einem alten Begriff zu sagen: Wir sind eine Volkskirche im Wandel. Das heißt, wir wollen eine Kirche für das Volk bleiben, auch wenn wir weniger werden.“

Kirche muss sich öffnen und verdichten

Bartels plädierte für eine geistliche „Doppelstrategie“: Kirche muss sich öffnen und verdichten. An einzelnen Stellen gebe es eine Öffnung der ländlichen Kirchengebäude für eine Nutzung durch ein breites Spektrum von verschiedenen, auch nicht-kirchlichen Gruppen: Lesungen, Konzerte, Ausstellungen. „Aber wir haben noch nicht genug Phantasie entwickelt, Kirchen (und auch Pfarrhäuser) wieder zu Treffpunkten im Dorf zu machen, sie dem Gemeinwesen zur Verfügung zu stellen“, so der Oberkirchenrat.

Gleichzeitig zur Strategie der Öffnung sei eine Strategie des Verdichtens notwendig. „Konzentration auf spirituelle Kerne“, nennt Bartels das. Stärkung von kleinen Gruppen, die in den Dörfern in jeder Kirche an jedem Sonnabend Abend die Glocken läuten und die Kerzen auf dem Altar anzünden und das Evangelium lesen und für das Dorf beten.

Und so komme man aus der Verdichtung wieder in die Öffnung. „Warum nicht mehr Kommunitäten in leer stehende Pfarrhäuser oder andere Immobilien einladen? Warum nicht selbst kommunitäre Strukturen fördern und begleiten?“, fragt er.

Wichtig sei, dass beides gleichzeitig geschehe. „Weder das sich bedingungslos Hineingeben in die weltlichen Strukturen noch das Zurückziehen in eine Art Konventikelstruktur für sich kann uns weiterbringen“, so Bartels.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 06/2014