Bischof Abromeit über Aufbrüche und Chancen in Vorpommern „Mission gibt es nur im Plural“

Interview: S. Marx / C. Senkbeil

Bischof Dr. Abromeit im Greifswalder Dom

© Nordkirche

13.10.2014 · Greifswald. 2001 war Hans-Jürgen Abromeit Bischof geworden und mit dem Ziel angetreten, die Pommersche Evangelische Kirche aus ihrer Krise zu führen. Aber ist die gute alte Volkskirche überhaupt noch zu retten? Ein Gespräch zum 60. Geburtstag des Bischofs.

Herr Abromeit, als Sie aus Westfalen her kamen, war Ihnen da so richtig klar, was Sie erwartet?

Ja. Mein Vorgänger Bischof Berger hatte Kontakte zum westfälischen Pastoralkolleg hergestellt, an dem ich damals tätig war. Daraus waren gemeinsame Veranstaltungen von westfälischen und pommerschen Pastorinnen und Pastoren entstanden. In mancher Hinsicht schien mir die pommersche Kirche wie eine Vorwegnahme der kirchlichen Zukunft auch an anderen Orten. Sie war klein von der Mitgliederzahl her und stand finanziell auf wackeligen Füßen. Ich war beeindruckt von der Fähigkeit der Pommern, mit geringen Mitteln eine Menge zu bewegen. Daran anknüpfend hatte ich zwei große Anliegen: Zum einen: Wir müssen über neue Strukturen nachdenken. 1997 hatte es ja bereits eine erste Strukturreform gegeben. Und zweitens: Wir brauchen eine größere Vielfalt an Angeboten, um den Menschen die gute Nachricht nahezubringen, wir müssen auch einmal etwas Neues ausprobieren. Vor allem diese zweite Aufgabe hat mich gereizt.

Haben Sie gedacht, Sie würden es schaffen, die Mitgliederzahlen wieder zu steigern?

Ich habe gedacht, es wäre uns gemeinsam möglich, den rasanten Mitgliederschwund zu stoppen. Erst, als wir die Mitgliederstruktur analysierten, wurde mir klar, dass das unmöglich ist. Denn an den Zahlen konnten wir sehen, dass die meisten unserer Mitglieder zur älteren Generation gehören. Getauft werden nur noch acht bis 14 Prozent eines Jahrgangs. Logisch: Wer zu DDR-Zeiten aus der Kirche ausgetreten war, ließ auch die Kinder nicht mehr taufen – da gab es einen richtigen Abbruch. Meine damalige Prognose hat sich leider bewahrheitet: Vor 13 Jahren hatten wir 124 000 Mitglieder, heute sind nur noch 86 000 im Pommerschen Kirchenkreis evangelisch, 2030 werden es vielleicht nur noch 50 000 sein.

Was hat das bei Ihnen ausgelöst, als Ihnen klar wurde, dass Sie auf einem sinkenden Schiff stehen? Waren Sie entmutigt oder erst recht motiviert?

 Zunächst: Es liegt letzten Endes nicht in unserer Hand, wer zum christlichen Glauben findet. Wir können von Jesus erzählen, versuchen, nach dem Evangelium zu leben und Angebote machen. Doch dann müssen wir auf den Heiligen Geist vertrauen. Deshalb mag ich den Begriff „sinkendes Schiff“ nicht. Als ich diese Statistiken gesehen habe, war mir jedenfalls klar, dass wir keine andere Möglichkeit hatten, als uns mit anderen zusammenzuschließen. Darum bin ich auch froh, dass die Fusion zur Nordkirche nun geschafft ist, wenn sie auch sehr viel länger gedauert hat als gedacht. Wir brauchten ein Dach, das wir mit anderen teilen, um überhaupt eine Verwaltung und Strukturen weiter finanzieren zu können – also den ganzen Apparat, den man braucht, um das zu tun, was wir als Kirche eigentlich tun sollen: die Menschen mit dem Evangelium bekannt machen..

Manche Experten sagen, die Deutschen seien durchaus noch religiös, nur nicht mehr daran interessiert, ihren Glauben in einer Institution wie der Kirche auszuleben. Müssen wir uns vielleicht einfach damit abfinden, dass die Kirche stirbt?

Das mit der Religiosität gilt nicht für den Osten. Es gab mal eine Umfrage in Leipzig, die das sehr schön zeigte. Da wurden die Leute gefragt, ob sie religiös seien. Die meisten antworteten „Nö“, aber auf die Frage, ob sie Atheisten seien, sagten sie auch nein! Was sie denn dann seien? „Normal“, sagten sie. Das ist die Herausforderung für unsere Verkündigung: Dass viele Menschen das Gefühl haben, Gott gehe sie nichts an. Sie wissen auch gar nicht, worum es bei der Kirche geht. Wir müssen es also schaffen, überhaupt erst mal ihr Interesse zu wecken. Da können z.B. Glaubenskurse ein guter Weg sein. Die Gemeinden Brandshagen, Reinberg und Horst haben vor einigen Jahren zusammen einen solchen Kurs angeboten. Da kamen 80 Leute! Das zeigt doch: Wenn man den Glauben auf interessante Weise präsentiert, kann es gelingen, dass Menschen neu aufmerksam werden auf Gott und die Kirche.

Sie haben von Anfang an bei Greifbar mitgearbeitet – einem Gottesdienst- Projekt in Greifswald, das den erklärten Anspruch hat, Kirchenferne zu erreichen und in die bestehenden Gemeinden zu integrieren. Aber so richtig aufgegangen ist das nie. Betrachten Sie es trotzdem als Erfolg?

Ich denke da nicht in solchen Kategorien: Erfolg, Misserfolg. Ich würde lieber sagen: Die Greifbar-Gemeinde, die so entstand, ist EINE wichtige Farbe in der bunten Kirchenlandschaft. Und diese Vielfalt ist gut. Wenn wir eins in den letzten 13 Jahren gelernt haben, dann das: Mission gibt es nur im Plural. Man kann nicht alle Menschen auf die gleiche Weise erreichen. So unterschiedlich wie die Menschen sind, so unterschiedlich müssen auch die Wege sein, die wir als Kirche mit der Botschaft gehen.

Aber was helfen neue Projekte, wenn die pastorale Grundversorgung vor Ort nicht mehr gegeben ist? Viele kritisieren, dass in den letzten Jahren Pfarrstellen gestrichen wurden.

Da kann ich nur sagen: Wenn die Kirche im Dorf bleiben soll, muss das Dorf auch in der Kirche bleiben! Es sind in den letzten Jahrzehnten viele Menschen ausgetreten, das ist jetzt die Konsequenz. Ich denke trotzdem, dass wir als Kirche auf dem Land noch präsent sind. Wir haben im Vergleich zu anderen Landeskirchen in Pommern die beste Relation zwischen Pastoren und Gemeindegliederzahl.

Aber bei uns leben die Gemeindeglieder verstreut auf weiter Fläche und zig Kirchengebäude gehören zum Gemeindegebiet.

Ich weiß, dass das für die Pastoren eine große Herausforderung bedeutet. Ich empfehle jungen Kollegen immer, auf einer neuen Pfarrstelle die gewachsenen Strukturen zu beobachten, also zu gucken: Gibt es eine unausgesprochene Hauptkirche? An diesem Ort sollte man jeden Sonntag Gottesdienst halten. Für die anderen Orte muss man einen anderen Rhythmus finden. Denn es ist doch für alle besser, wenn sie hin und wieder schöne, große Gottesdienste in der Hauptkirche feiern, als sehr viel Energie für Gottesdienste mit drei, vier Besuchern aufzuwenden.. Außerdem kann ein Pastor nicht vier Gottesdienste an einem Sonntag halten, das muss er ohne schlechtes Gewissen sagen dürfen.

Und warum gibt es so viele Sonderpfarrstellen? Wir hören oft die Kritik: Diese Stellen braucht keiner. Setzt lieber Pastoren in die Fläche...

Sie meinen Stellen wie das Jugendpfarramt, die Studentenseelsorge, Krankenhausseelsorge oder die Seelsorge für Hörgeschädigte? Diese Stellen brauchen sehr wohl viele Menschen. Und diese Pastorinnen und Pastoren unterstützen die Arbeit in den Gemeinden und die Kollegen dort. Ein Beispiel: Tabea Bartels kann als Jugendpastorin im PEK ihre gesamte Kraft in die Arbeit mit jungen Menschen stecken. Dadurch ist die evangelische Jugendarbeit in Vorpommern besser aufgestellt, es gibt wieder mehr Gruppen, die Jugendlichen bilden sich zu Teamern fort, und sie sind auch erstmals wieder in der Synode vertreten, nehmen also ihr Recht wahr, Kirche mitzugestalten. Das ist toll und es zeigt: Wir brauchen Sonderpfarrstellen, um Akzente zu setzen. Übrigens. Diese Pfarrstellen wurden auf Beschluss der Synode geschaffen.

Das alles klingt so, als könnten wir es hier mit viel Mühen schaffen, die evangelische Kirche als Institution zu halten – dauerhaft.

Selbstverständlich hat die Kirche auch auf lange Sicht ihren Platz in Pommern. Vor allem dort, wo sie sich als Teil des Gemeinwesens engagiert und wieder ins Blickfeld der Menschen kommt. Wir haben das gerade beim Landeserntedankfest erlebt: Da war die Kirche voll. Manche begreifen dann vielleicht auch, was hinter Erntedank steckt: das Wissen, dass ich mich und mein Leben nicht mir selbst verdanke. Ähnlich ist es mit evangelischen Kitas und Schulen. Auch sie sind eine Chance, Menschen anzusprechen, denn die Kinder, die dort ein Tischgebet sprechen, fragen auch zu Hause nach Gott

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 41/2014