Greifswalder Bischof nach Nahostreise im Gespräch Bischof Abromeit kritisiert israelische Siedlungspolitik

Gespräch: Nicole Kiesewetter

Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit befürchtet bürgerkriegsähnliche Zustände in Israel.

© kirche-mv.de/D. Vogel

27.02.2015 · Greifswald. Der pommersche Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit hat gemeinsam mit Landesbischof Gerhard Ulrich und einer Delegation der Nordkirche Israel und die palästinensischen Gebiete besucht. Die lutherische Kirche im Nahen Osten ist die Partnerkirche der Nordkirche. Auf dem Programm standen der Besuch von Schulen und Friedensprojekten, christlich-jüdische Begegnungen sowie Gespräche mit Politikern und religiösen Führern. Nach seiner Rückkehr sprach Nicole Kiesewetter mit dem Greifswalder Bischof.

Herr Abromeit, Israel und die palästinensischen Gebiete sind ein Dauer-Krisenherd dieser Welt. Wie ist die Situation dort momentan?

Es herrscht eine "Erwartungsstille im Land". Am 17. März wird in Israel gewählt, und die große Hoffnung Vieler ist, dass sich danach politisch etwas ändert. Die arabischen Parteien sind zersplittert, haben aber nun erstmals eine Koalition gebildet. Gemeinsam könnten sie eine neue Stimme in der Knesset bilden. Sollten die bisherigen Machtverhältnisse mit Netanjahu als Ministerpräsident bestehen bleiben, wird es keine Fortschritte geben. Die Separierung der Gesellschaften führt zu einer gereizten Atmosphäre. Die Palästinenser sind ein gedemütigtes Volk, sie sind immer unter Besatzung gewesen. Sie leben hinter einer Mauer und haben in der Regel keinen Kontakt zu Israelis. Man begegnet sich nicht, lernt sich nicht kennen. Das schürt auf beiden Seiten irrationale Ängste vor einander.

Was kann Kirche in dieser Lage tun?

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, wie sie offiziell heißt, ist unsere Partnerkirche. Wir können zunächst einmal die Situation der Menschen insgesamt und die der wenigen verbliebenen arabischen Christen wahrnehmen. Viele von ihnen sind bereits ausgewandert, vor allem nach Nord- und Südamerika. Die Nordkirche unterstützt in der Region unter anderem drei Schulen und im Rahmen des Lutherischen Weltbundes das Auguste-Viktoria-Hospital auf dem Ölberg. Es geht darum, Begegnungen zu schaffen, die Gespräche und Versöhnung möglich machen. Das wichtigste ist, dass die beiden Gesellschaften aufeinander zugehen. Man braucht Berührungspunkte, wo man anfängt, den anderen als Menschen zu sehen und nicht als Feind.

Wie kann eine politische Lösung aussehen?

Das Land ist für zwei Staaten zu klein. Meine Vision wäre die des Sozialphilosophen Martin Buber von einem "binationalen Staat", also einem Gemeinwesen mit möglichst abgegrenzten Siedlungsbezirken und zugleich mit möglichst weitgehender wirtschaftlicher Kooperation, mit vollkommener Gleichberechtigung beider Partner ohne Rücksicht auf die jeweilige zahlenmäßige Proportion, und mit einer auf diesen Voraussetzungen aufgebauten gemeinschaftlichen Souveränität. Doch das muss politisch gewollt sein, und das scheint es nicht.

Was sind Ihre Bedenken?

Die Maßnahmen der israelischen Regierung zielen momentan darauf ab, dass möglichst viele Araber freiwillig das Land verlassen. Warum redet man von einer Zwei-Staaten-Lösung, wenn gleichzeitig die Zügel angezogen und die Rechte der Palästinenser weiter eingeschränkt werden, und wenn weiterhin immer weitere jüdische Siedlungen auf dem eigentlich für einen palästinensischen Staat vorgesehenen Gebiet errichtet werden? Wenn sich die Situation nicht ändert, befürchte ich bürgerkriegsähnliche Zustände in Israel - auch wenn einmal doch versucht werden sollte, diese Siedlungen im Zuge einer 2-Staaten-Lösung zu räumen. Ich erkenne nicht, dass irgend jemand unter den Politikern im Land eine realistische Vision für eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden hat.

Quelle: epd