BildgeschichtenDer Schatz von Jarmen: Die Glasmalereien aus Quedlinburg

Vor 160 Jahren, am 18. Oktober 1856, besuchte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. Jarmen. Der König war Initiator zahlreicher Kirchenneubauten und -renovierungen, auch in der pommerschen Provinz. Für den Neubau in Jarmen gab Seine Majestät 2000 Taler. Der Entwurf für die am 23. November 1863 eingeweihte Kirche soll von Friedrich August Stüler überarbeitet worden sein. Es handelt sich um eine Stufenhalle mit eingezogenem, polygonalen Chor, der Zeit gemäß in neugotischem Stil. Die Seitenschiffe sind mit Emporen ausgestattet, die bis an die schlanken, grazil wirkenden Stützen des Mittelschiffs herangezogen sind und von diesen mit getragen werden.

Vom Vorgängerbau wurde nur das Untergeschoss des Turms einbezogen, und der untere Teil einer mittelalterlichen Granitfünte ist erhalten. In der 2000 herausgegeben Neuausgabe des Handbuches der deutschen Kunstdenkmäler für Mecklenburg-Vorpommern, kurz „Dehio“ genannt, folgt auf Japenzin Jarmshagen – die Stadt Jarmen fehlt. Auch im Katalog „Schinkel und seine Schüler“ taucht Jarmen nur als Entfernungsangabe auf. Hat die Kirche im Ort nichts Sehenswertes zu bieten? Doch, in den Bau- und Kunstdenkmalen des Bezirkes Neubrandenburg von 1986 wird Jarmen genannt, auch die Grüneberg-Orgel von 1911, der oben schon erwähnte Rest einer Tauffünte, vasa sacra und sogar eine Glocke von 1409!

Der Schatz, den wir hier betrachten wollen, ist dort aber ebenso wenig erwähnt, wie Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, die heute hinter der Orgel lagern: ein Lutherbild, geschenkt von der Baronin von Sobeck auf Zarrenthin, ein 1865 signiertes und datiertes, von Gemeindemitgliedern gestiftetes Gemälde, das Maria mit dem Jesusknaben und dem kleinen Johannes dem Täufer zeigt sowie ein Brustbild des Schmerzensmanns. Oder das wohl um 1930 von Max Uecker für ein Gefallenenmal im Chor geschnitzte Kruzifix. In Jarmen hatte der Bildschnitzer Max Uecker im Mai 1919 die Müllerstochter Charlotte Drescher aus Gumbinnen geheiratet. Aber was da im Chor im Licht farbenprächtig funkelt wie ein Schatz, das sind die kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Glasmalereien.

Dargestellt sind in den hohen zweibahnigen spitzbogigen Fenstern des dreiseitigen Polygons von links nach rechts die Verkündigung, die Geburt Christi über der vom Stern geleiteten Reise der Heiligen Drei Könige sowie die Auferstehung. Eingebettet sind die Bilder in eine kostbare (neu)gotische Architekturmalerei mit Arkaturen, krabbenbesetzten Wimpergen und durchbrochenen Fialtürmchen. Der Raum, in dem sich die Verkündigung vollzieht, wird nach hinten durch einen Vorhang begrenzt. Maria kniet vor dem Lesepult, sie wendet ihr Gesicht nicht dem Boten zu, sondern der Blick ist verzückt in sich gekehrt, der Heilige Geist ist über sie gekommen, Strahlen vom Nimbus der über dem Erzengel Gabriel schwebenden Taube treffen ihr Haupt.

Das Kleid Marias ist weiß wie die neben ihr stehende Madonnenlilie als Symbol der Unschuld. Ihr blauer Mantel verweist auf die Himmelskönigin. Nicht nur Farben und Attribute, auch die Fältelung der Gewänder folgt spätmittelalterlichen Vorbildern. Das Gewand Gabriels macht das Heranrauschen des Engels sinnfällig. In der Linken hält er ein Zepter, um das sich das Band mit seiner Botschaft „Ave Maria gratia plena...“ schlingt. Ein Leuchter mit drei Kerzen verweist auf die heilige Dreifaltigkeit. Eine Stiftungsinschrift fehlt auf dem Verkündigungsfenster. Das Weihnachtsbild darüber zeigt Maria und Joseph vor dem Kind und drei musizierende Engel. Einer hat eine Laute, einer eine Harfe und einer eine Geige. Joseph hält als Attribut des Zimmermanns ein Winkelmaß in der Hand. Ochs und Esel sind von den Fensterpfosten und Stegen weitgehend verdeckt.

Das Fenster im Chorscheitel zeichnet sich durch eine zusätzliche Szene im unteren Bereich aus, dort, wo auf den anderen beiden Bildern unter reichen Wimpergen Vorhänge drapiert sind. Dargestellt ist der Weg der Heiligen Drei Könige, die dem Schweifstern am Firmament folgen. Voran der älteste, gefolgt von den beiden jüngeren auf ihren behäbigen Wüstenschiffen. (vgl. auch Heilige Drei Könige Altefähr) Die Könige und ihre Reittiere sind in Grisailletechnik, in Graumalerei, wiedergegeben. Nur Kronen, Gewandsäume und das Zaumzeug der Kamele heben sich golden ab. Links unten befindet sich die Inschrift „Dieses Fenster stiftete Familie Dr. Mohrmann, anno 1912“.

Auf der Südostseite des Chorpolygons schließt sich das Auferstehungsfenster an. „Dieses Chorfenster stiftete Familie Becker Kronsberg anno 1912.“ Rechts daneben entdeckt man das Schild mit dem Namen der im Jahre 1867 gegründeten Firma F. Müller, Glasmalerei Quedlinburg. Ferdinand Müller (1848-1916) führte seinerzeit eine der bedeutendsten Produktionsstätten von Glasmalerei in Deutschland. Glasmalereien aus Quedlinburg waren weit über die Grenzen des Reiches hinaus gefragt.

© Detlef Witt 2006