Eine Betrachtung zur Jahreslosung 2018 von Heinrich Bedford-Strohm Wege zur Quelle

Von Heinrich Bedford-Strohm

Klaus Jürgen Thies aus Hermannsburg hat unserer Redaktion dieses Bild mit einem Kanon zur Jahreslosung 2018 geschickt.

Montage: kiz

07.01.2018 · München.

Wie kostbar Wasser ist, merken wir erst, wenn es uns fehlt. Ich erinnere mich an eine Bergtour im Sommer. Nach vier Stunden Aufstieg war mein Wasservorrat schon fast aufgebraucht. Und beim Abstieg wurde der Durst immer größer, jeden Schluck habe ich genau eingeteilt. Wenn meine Begleiter nicht mit mir geteilt hätten, wäre ich wohl nicht gesund angekommen. Diese Erfahrung hat sich eingeprägt. Immer wieder, wenn ich Wasser trinke, denke ich daran und danke Gott dafür, dass er uns das Wasser schenkt.

Schon unser körperliches Durstgefühl ist etwas ganz Grundlegendes. Erst recht das, was die Jahreslosung anspricht, unseren Lebensdurst. Hier geht es um unsere Existenz. Hier geht es um die Lebensquellen, die uns vor dem inneren Austrocknen bewahren.

Trinkwasser haben wir in unserem Land genug. Aber Quellen für die Seele fehlen uns. Viele Menschen spüren: Mit einem Leben, in dem der materielle und der berufliche Erfolg an erster Stelle stehen, verpassen wir das Eigentliche. Die Gesundheitsforscher sagen schon lange: Ab einem bestimmten materiellen Niveau steigt die Lebenszufriedenheit nicht weiter an, wenn wir noch mehr haben. Die Zufriedenheit von Gesellschaft en wird größer, wenn alle Menschen etwas vom Wohlstand haben. Auch die Reichen – so das erstaunliche Ergebnis der Forscher – sind dann zufriedener. Und die Glücksforscher sagen: Achten Sie auf Ihre sozialen Beziehungen! Kein schickes Auto und keine neue Couch kann die Liebe zwischen Menschen ersetzen!

Wir wissen das. Aber warum vergessen wir das so leicht? Weil diese Erkenntnisse vielleicht unseren Kopf, nicht aber die Seele erreichen. Deswegen ist der Satz der Jahreslosung so wichtig: Es ist ein Satz, der unsere Sehnsucht aufnimmt. Echte Lebensquellen kommen von dem, der uns alle geschaffen hat, der dich und mich mit seiner Liebe anstrahlt, sodass wir diese Liebe in uns aufnehmen und irgendwann selbst ausstrahlen.

Die Neuentdeckung der Frömmigkeit

Alles, was wir tun müssen, ist, uns dafür zu öffnen, auf die kraft vollen Worte Gottes zu hören, sie in uns aufzunehmen, ihnen nachzuspüren, uns selbst leer zu machen und die göttliche Energie in uns aufzunehmen, gemeinsam mit anderen zu singen und uns von der Musik das Herz öffnen zu lassen für das, was Gott uns sagen will. Ich meine eine religiöse Praxis, die zu so etwas wie einer Schule der Freiheit werden kann, einem Weg zu den Quellen des Lebens, der Tür zu einem Leben mit Gott.

Eine Neuentdeckung der Frömmigkeit öffnet uns den Blick auf die Fülle des Lebens. Das ist vielleicht das Wichtigste im Deutschland des Jahres 2018, einem reich gesegneten Land, in dem Knappheitsgefühle und Verlustangst überhandzunehmen drohen. Dass wir herausfinden aus dem Gefühl, zu kurz zu kommen. Und dass wir entdecken, aus welcher Fülle wir leben dürfen. Und diese Fülle spüren.

An vielen Stellen spricht die Bibel von dieser Fülle. Und manchmal sind es auch Erfahrungen mit Menschen, die uns einen neuen Blick auf die Fülle und das Glück des Lebens gewähren. Ich habe in den Tagen vor Weihnachten einen Menschen näher kennengelernt, der im Münchner Hauptbahnhof Straßenzeitungen verkauft. Sein Leben weist viele Brüche auf. Seinen ganzen Besitz hat er in ein paar Plastiktüten neben sich stehen. Die Nacht verbringt er jetzt im Winter an Orten im Bahnhof, wo es eine Wärmequelle gibt – oder in der Nachtlinie der Tram. Als ich ihn frage: Können Sie so genügend schlafen?, antwortet er mir, fast überrascht über diese Frage: „Ja, klar! Ich komme zurecht!“ Er ist fest angestellt bei der Straßenzeitung und ist zufrieden. Ich habe in dem ganzen Gespräch keine Klage gehört. Für mich war dieses Gespräch eine Schule der Demut. Nach der Begegnung mit diesem Mann habe ich immer wieder darüber nachgedacht, wofür ich dankbar bin und was ich wirklich brauche, um zufrieden zu sein.

„Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.“ Dieser Satz stammt von Dietrich Bonhoeffer, aus einem Brief vom 19. März 1944 aus dem Gefängnis. Immer wieder beeindruckt mich Bonhoeffers tiefe Frömmigkeit und sein mutiges Zeugnis im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Ich glaube, dass es uns in unseren manchmal viel weniger dramatisch scheinenden Alltagsfragen helfen kann. In unseren Sehnsüchten und Wünschen immer wieder von Neuem den Kontakt mit Gott zu suchen, all das, was uns bewegt, in Gottes Hand zu legen, zu spüren, dass Gott mit uns geht in den guten und in den schweren Zeiten, Frieden zu finden mit Gott und mit uns selbst, das ist erfülltes Leben.

Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst – sagt Gott. Und weist uns damit den Weg zu einem Leben mit den anderen, in dem niemand mehr zu kurz kommt, in dem wir, weil wir Zugang zum lebendigen Wasser finden, selbst zur Wasserquelle werden.

Das ist die Vision, mit der wir in das Jahr 2018 gehen dürfen. Es wird Deutschland guttun. Es wird der Welt guttun. Es wird uns allen guttun.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 01/2018