Pilger auf den Spuren des Ravensbrücker Todesmarschs Lebendige Begegnungen

Von Marion Wulf-Nixdorf

Andacht am Ort der Befreiung: Hier in Raben Steinfeld endete der Todesmarsch der KZ-Häftlinge von Ravensbrück und Sachsenhausen – und auch der Weg der Pilger. Mit dabei: der Kreistagspräsident von Parchim-Ludwigslust (2. v. l.).

Foto: G. Köhler

10.05.2015 · Schwerin. Ungefähr 12 000 KZ-Häftlinge wurden kurz vor Kriegsende 1945 von Ravensbrück in Richtung Schwerin getrieben. Eine Pilgergruppe erinnerte jetzt an diesen Todesmarsch.

170 Kilometer sind sie zu Fuß gegangen: ein Dutzend Frauen und Männer, die Ende April/Anfang Mai an den Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Ravensbrück erinnern wollten. „Wir haben im Inneren gespürt, was da war vor 70 Jahren“, sagte Horst Schröter, Pastor in Peckatel bei Neustrelitz und einer der Organisatoren, im Abschlussgottesdienst in der Schweriner Schelfkirche am vergangenen Sonntag.

Über Wesenberg, Mirow, Malchow, Goldberg und Crivitz war er mit den anderen Teilnehmern zehn Tage lang nach Raben Steinfeld vor den Toren Schwerins gepilgert, alle in guter Outdoor- Kleidung und mit bequemen Schuhen. Ganz anders als die Frauen vor 70 Jahren, die unter ihrer verschlissenen Häftlingskleidung oft nicht einmal Unterwäsche anhatten und deren Füße in Holzpantinen steckten. Ende April 1945, kurz vor dem Eintreffen der sowjetischen Truppen, hatten die Nazis begonnen, das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück zu räumen. Ungefähr 12 000 Häftlinge trieben sie damals in Richtung Schwerin, ein Großteil von ihnen starb auf dem Weg. Nachts gab es Frost, viele der Frauen erfroren auf der Strecke. Für die Überlebenden hatte das Martyrium am 2. Mai ein Ende, als der Zug Raben Steinfeld erreichte und die russischen Truppen den Todesmarsch beendeten.

Der 62-jährige Gerhard Köhler aus Schwerin ging den Gedenkmarsch mit. Dass Menschen sagten, sie hätten nichts gewusst von dem, was an Unvorstellbarem vor ihrer Haustür passierte, habe er nie verstehen können, sagt er. „Es gab doch Leute, die Kontakt hatten, die Lebensmittel oder Wäsche in die KZs brachten. Die müssen doch was erzählt haben!“ Erst jetzt, nach diesem Gedenkmarsch, verstehe er das Schweigen besser: Viele hätten wohl Angst um ihre Familien gehabt.

Bewegende Gespräche am Straßenrand

Ein über 80-Jähriger habe der Pilgergruppe in Steinhavelmühle berichtet, wie seine Mutter einen Eimer mit Wasser für die ausgemergelten Ravensbrück-Häftlinge an die Straße gestellt hatte. Eine Aufseherin stieß den Eimer um, hielt der Mutter die Pistole vors Gesicht und drohte, sie solle dies nie wieder tun. Der damals kleine Sohn stand dabei. „Die Frau hat das sicher nie wieder getan“, vermutet Gerhard Köhler.

Oded Norkin, 60, ein jüdischer Amerikaner, ging den Gedenkweg mit, um sich Kilometer für Kilometer einem Schicksal anzunähern, das auch seine eigene Familie hätte treffen können. Kurz vor Hitlers Machtantritt hatte man Odeds Vater, einen Berliner Rechtsanwalt, und die Mutter gewarnt. So flohen sie nach Amerika, siedelten später nach Israel um. Oded Norkin, inzwischen wieder in Amerika, besuchte nun auch Schulen und sprach mit den Jugendlichen über das, was da vor 70 Jahren passiert war.

Andere Schüler mit ihren Lehrern, aber auch Bürgermeister und Angestellte aus Stadtverwaltungen, liefen Teilstrecken des Weges mit. Lebendige Begegnungen mit Zeitzeugen seien möglich geworden, gute Gespräche am Wegrand und in Schulen, sagt Pastor Horst Schröter. Außerdem beteten die Pilger zusammen die Tagzeitengebete, feierten Freitag Schabbat und Sonntag Gottesdienst. So setzten sie dem Todesmarsch lebendige Begegnungen und Gebete entgegen.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 19/2015