"Neid steckt in jedem von uns“ Auch Flüchtlinge nutzen Demminer Tafel – getrennte Ausgaben sollen Streit verhindern

Von Sybille Marx

Wolfgang Arndt am Eingang. „Du kannst die ersten zehn reinlassen!", ruft ihm die Leiterin zu.

Foto: Sybille Marx

13.12.2015 · Demmin. Woche um Woche strömen bis zu 70 Menschen in die Demminer Tafel, um sich mit gespendeten Lebensmitteln zu versorgen. Ein Team um Manuela Leistikow verteilt alles so gerecht wie möglich. Nicht immer leicht.

Für einen Moment wird Manuela Leistikow laut. „Moment, Moment!“, ruft sie durch den langen Gang der Demminer Tafel und eilt auf einen Mann zu. „Sie waren doch schon drin“, sagt sie zu ihm, „Sie haben schon was bekommen.“ Irritiert schaut der Mann sie an, sagt etwas in einer anderen Sprache, gestikuliert, versucht ein Lächeln. Doch die Tafel- Leiterin schiebt ihn zurück zum Eingang. „So geht das nicht“, sagt sie. „Jeder nur einmal!“

Es soll gerecht zugehen bei der Lebensmittelausgabe in der Demminer Tafel – erst recht in einer Zeit, da zusätzlich zu den alteingesessenen Kunden auch Flüchtlinge kommen. Vor rund 18 Jahren war die Tafel in Demmin gegründet worden; als ein Verein, der überschüssige Lebensmittel von Supermärkten und anderen Firmen im Umland einsammelt und für einen Obulus an Menschen abgibt, die von Hartz IV leben oder ein ähnlich kleines Einkommen haben.

Eine große Tüte voller Waren bekommt jeder bedürftige Erwachsene freitags hier, für 1,50 Euro; 50 Cent wird für Kinder berechnet. Auch eine Kleiderkammer und sieben Ausgabestellen in umliegenden Dörfern gehören inzwischen zum Verein. Ein Angebot, das organisiert werden will. Fünf Bundesfreiwillige, fünf Ein- Euro-Jobber und über zehn Ehrenamtliche helfen allein in Demmin mit. An sechs Tagen pro Woche fahren sie durchs Land, bis nach Hamburg, um Lebensmittel einzusammeln; dann wird gesichtet, sortiert, vorbereitet. „Das ist aber seit Jahren so, dass wir so weit fahren müssen“, sagt Manuela Leistikow. Der Bedarf sei einfach riesig. Allein in der Demminer Ausgabestelle seien aktuell 587 Nutzer registriert.

"Die Gruppen verstehen sich nicht so gut“

An diesem Freitag im Advent ist es wie an jedem Freitag in dem langgestreckten Flachbau in der Brinkstraße: Lange, bevor die Uhr 12 zeigt, drängen sich die ersten Kunden vor der Eingangstür. Russische Spätaussiedler stehen heute ganz vorn; sie sollen als erstes eingelassen werden, dann die Flüchtlinge, dann die Deutschen, nächste Woche wieder umgekehrt.

Wieso diese Unterscheidung? „Die Gruppen verstehen sich nicht so gut“, sagt ein Tafel-Mitarbeiter. Vor Jahren, als noch alle gemeinsam eingelassen wurden, sei eine Frau gestürzt, die anderen seien einfach über sie drübergestiegen. Anke Rörbäk, die seit Kurzem die Büroführung im Verein übernommen hat, meint: Zu viele Demminer müssten mit Hartz IV auskommen; die Arbeitslosenquote liegt bei 17,8 Prozent. „Von 500 Euro im Monat zu leben, ist so schwierig“, sagt sie. Und obwohl die Tafel-Helfer für jeden die gleiche große Tüte fertig machten, habe jeder Angst, dass der andere mehr bekommt. „So kommt Neid auf“, sagt sie. „Aber das ist normal, das steckt in jedem von uns.“

12:02 Uhr: „Leute, wollen wir anfangen?“, ruft Manuela Leistikow – und wenig später haben sich die Helfer an verschiedenen Stellen in der Tafel postiert. Eine Ehrenamtliche nahe dem Eingang soll abkassieren und die Tafel- Ausweise kontrollieren. Ein zweiter Helfer, der 36-jährige Hausmeister André Kowski, steht am Ende des Gangs, um aus Bergen von Gemüse jeweils eine bunte Auswahl in die Tüte zu packen. Und Uwe Zimmer, selbst auf Hartz IV angewiesen, soll an Regalen davor eingeschweißte Dinge wie Senf und Joghurt verteilen.

"Es werden nicht weniger Bedürftige“

12:04 Uhr: „Du kannst die ersten zehn reinlassen!“, ruft Manuela Leistikow dem Helfer an der Eingangstür zu, und die ersten Kunden schieben sich in den Raum. Zielstrebig steuern sie die Packstationen an, um ein paar Minuten später mit vollen Tüten wieder hinauszugehen. Zig weitere Kunden folgen, eine gute Stunde später ist dann alles vorbei.

Norbert Kukla, ein arbeitsloser Maurer, steht noch kurz am Ausgang. Fast jede Woche komme er in die Tafel, um je eine Tüte für sich und seine Frau zu kaufen, erzählt der 62-Jährige. „Das hilft, um über die Runden zu kommen.“ Aber auch über das, was die Helfer hier leisten, macht er sich Gedanken. „Die haben ganz schön zu tun, genug Lebensmittel für uns alle ranzukriegen“ , meint er. „Es werden halt auch nicht weniger Bedürftige.“

Vor ein paar Wochen, erzählen die Tafelmitarbeiter, hätten in anderen Ausgabestellen plötzlich ganz viele Flüchtlinge vor der Tür gestanden, unerwartet. „Wenn man das nicht planen kann, ist das ein Problem“, sagt Günther Kny, bis vor Kurzem Leiter der Demminer Tafel. Inzwischen habe sich das aber eingespielt. Norbert Kukla findet, „ein bisschen geordneter könnte es sein.“ Die Flüchtlinge hätten noch nicht verstanden, dass mal die Deutschen, mal sie als erste hineindürften. „Aber im Großen und Ganzen sind hier alle zufrieden.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 50/2015