70 Jahre Kirchenzeitung Erinnern an turbulente Zeiten

Von Christine Senkbeil

Viele Geburtstagsgäste nutzten die Gelegenheit, um in alten Zeitungsausgaben zu schmökern

Foto: R. Neumann

11.09.2016 · Schwerin. Ein Menschenleben währet 70 Jahre... Unsere Kirchenzeitung in MV hat dieses stolze Alter nun erreicht – Anlass genug zum Feiern. Und zu einem Rückblick: Über 100 Weggefährten und Zeitungs(mit-) macher erinnerten sich an so manche Turbulenzen der vergangenen Jahrzehnte.

Kennen Sie das Spiel „Kurt, ärgere dich nicht?“ Oder besser: diesen Taschentrick? Auf der Jubiläumsfeier „70 Jahre Kirchenzeitung“ erläuterte der frühere Chefredakteur Gerhard Thomas diesen ungewöhnlichen Spielzug der Kirchenzeitungsredakteure, der in den 1970er-Jahren zum Alltag gehörte. Kurt, das war Kurt Blecha, Leiter des Presseamts beim Ministerrat der DDR in Berlin. Und als Choleriker war er gut geeignet, den DDR-Staat vor den schädigenden Einflüssen der frechen Kirchenpresse zu beschützen. „Die Redaktion war öfter bei ihm einbestellt und der Chefredakteur wurde zusammen gebrüllt“, erzählte der heute 82-Jährige.

Belustigt hörten die Geburtstagsgäste der Zeitung seinen Erinnerungen zu. Wie die Redakteure dem Partei-Funktionär extra „dicke Brocken“ in die Zeitungszeilen schrieben – Affronts gegen den Staat, die der Zensor einfach streichen musste – und es auch tat. „Er fiel auf unsere Köder herein und übersah dadurch die Sätze, auf die wir eigentlich Wert gelegt hatten.“ „Kirchenzeitung in der DDR, das war vor allem Kampf um die Zensur“, fasste er zusammen.

"Zentralorgan der Restauration"

Zumal, wie Hans-Jürgen Röder später ergänzte, diese Zeitungen von der Sozialistischen Einheitspartei als „Kampfblätter der Restauration“ angesehen wurden. „Die Mecklenburgische aber galt sogar als das Zentralorgan der Restauration“, fügte der ehemalige Ost-Korrespondent des Evangelischen Pressedienstes (epd) aus West-Berlin und spätere Chef von epd-Ost hinzu, der, wie Marion Wulf-Nixdorf sagte, „immer die große, weite Welt“ mit nach Schwerin brachte – „und Kaffee“.

An diese nicht eben sorglosen Zeiten mit einem Festakt noch einmal zu erinnern, das war das Anliegen des jetzigen Chefredakteurs Tilman Baier. „Ich wollte alle diese Leute noch einmal zusammenholen, die noch da sind und die dieses Blatt durch die ganzen schwierigen Zeiten gebracht haben“, sagte er.

30 Jahre Zeitung aus der Pressebaracke

Über 100 Gäste, die meisten aus der Nordkirche, aber auch aus Berlin, Magdeburg und München waren gekommen. Im Festsaal des ehemaligen Oberkirchenrat wurden unzählige Hände geschüttelt, alte Fotos belächelt, vergilbte Zeitungen durchgeblättert. Ein Familientreffen der Mitstreiter, warmes Erinnern an gelebte Zeit. „Dass es mal soweit kommen würde, hätte ich mir vor über 30 Jahren in der kleinen Pressebaracke auf dem Hof hier nicht träumen lassen“, sagte Marion Wulf-Nixdorf bei der Begrüßung – die Älteste im Redaktionskreis: „Fast die Hälfte der 70 Jahre Kirchenzeitung kann ich überblicken.“ 40 Jahre bis in die 1990er wurde von der Baracke aus Zeitung gemacht, im Winter war es oft „saukalt“, sagte sie, wenn der Heizer wieder zuviel getrunken hatte.

Der spätere Landesbischof Hermann Beste führte die Kirchenzeitung von 1986 bis 1991 durch die Wendezeit. „15 000 Stück durften wir drucken, die waren ständig ausverkauft“, erinnerte er. „Alle unsere Versuche, die Auflage zu erhöhen, wurden vom Staat abgeschmettert.“ Ab 1988, sagt er, konnte plötzlich freier berichtet werden. „Wir haben es erst nicht geglaubt, wir konnten zum Beispiel offen über unser Unbehagen über die Domeinweihung in Greifswald berichten. Das war eine Vorbereitung im Mutigwerden der Herzen.“ Nach der Wende warteten neue Aufgaben. „Wir merkten, dass uns der Feind verloren gegangen war.“ Die Zeitung aber sollte bleiben, was sie in der DDR auch war: eine offene, kritische Begleitung des kirchlichen Lebens.

Wie Pommern nach Mecklenburg kam

Wie Pommern nach Mecklenburg kam, erläuterte Oberkonsistorialrat i. R. Wolfgang Nixdorf, der viele Jahre auch Redakteur des sogenannten „Pommerschen Hinterteils“ war – der einen Seite, die als Berichterstattung der Landeskirche Greifswald mit an der Berliner Zeitung „Die Kirche“ hing. „Zur Mecklenburgischen Kirchenzeitung (MKZ) zu gehören, das war für uns das Gelobte Land“, erzählte er. Ab 1968 erschienen einzelne Berichte aus Pommern in der MKZ. 1978 trafen sich Vertreter beider Gebiete in Barth – ein denkwürdiges Ereignis. Sie beschlossen, dass beide, Mecklenburg und Pommern, gleichberechtigt und gemeinsam in einer Zeitung auftreten wollten. „Es war wie ein Traum“, sagte Nixdorf. Doch vorerst blieb er es. Er scheiterte an der Ablehnung durch das staatliche Presseamt.

„Erst nach der Wende konnten die Überlegungen aus Barth umgesetzt werden“, sagte er. 1998 gab es die erste gemeinsame Zeitung: zehn Seiten MPKZ: „Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung“ als Kennzeichen der Zusammenarbeit beider Kirchen. „Die Trebelbrücke in Nehringen wählten wir damals als Titelblatt“, erinnerte Tilman Baier, „die die alte Grenze zwischen Mecklenburg und Vorpommern überspannt“. Um das Brückenbauen, wo andere tiefe Gräben ziehen, ging es darum auch in der Andacht des nun 23 Jahre tätigen Chefredakteurs.

"Es ging damals nicht ohne Rückgrat“

„Ich möchte keinen Streit anfangen“, lautete eine Liedzeile, die die „Zeitungs-Gemeinde“ daraufhin sang. Doch dem widersprach Thomas Jeutner, der Nachwende- Redakteur aus der Greifswalder Redaktion: „Wir mussten damals widersprechen, es ging nicht ohne Rückgrat“, erinnerte sich der heute in der Berliner Versöhnungsgemeinde tätige Pastor. Nach der Wende fing er in Greifswald an, als die Herausforderung nicht mehr darin bestand, höhere Auflagen genehmigt zu bekommen – sondern eher darin, gegen die schwindenden Leserzahlen zu agieren. Und: die Vergangenheit aufzuarbeiten. „Die Frage, welche Distanz und Nähe die Kirche zum Staat hatte, wurde großes Thema. Auf konsistorialer Ebene gab es da ein großes Aussitzen.“

In dieser Zeit begann wieder eine pommersche Identität zu wachsen, die Jeutner als Brandenburger zu verstehen begann, als beim Kirchentag Trompeten vom Kirchturm das „Pommernlied“ spielten und alle mitsangen. „Das sind anrührende Momente, die ich nicht vergesse.“ „Was macht die Kunst?“, hatte ihn Oberkonsistorialrat Hans- Martin Harder als erstes gefragt, als er an einem Morgen 1992 zum ersten Mal über den Flur der Redaktion am Greifswalder Karl- Marx-Platz lief. „Und es ist tatsächlich eine Kunst, das richtige Wort zu treffen, all diese Geschehnisse verantwortungsvoll zu begleiten.“

"Gemeinsam hätten wir größere Überlebenschancen"

Der Kampf gegen sinkende Abozahlen jedoch dauert an – „bei allen Zeitungen“, wie Gastredner Wolfgang Weissgerber von der Evangelischen Sonntagszeitung in Frankfurt am Main abschließend und zukunftsblickend vortrug. Während der bunte Zeitschriftenmarkt boomt, kämpften seriöse Tages- und Wochenzeitungen ums Überleben. „Es wird nicht gelingen, Auflagen gedruckter Zeitungen zu steigern“, ist er überzeugt und wirbt deshalb für eine größere Zusammenarbeit der noch verbliebenen Kirchenzeitungen. Im Bereich der digitalen Vermarktung sei noch Luft nach oben, das Heil sei aber auch darüber nicht zu erwarten. „Unser Pfund ist die Reichweite“, sagte er. „Gemeinsam hätten wir größere Überlebenschancen. Wir haben keine Chance, nutzen wir sie!“, entließ er das Publikum zum Buffet – und zu vielen Gesprächen über alte Zeiten und neue Herausforderungen.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 37/2016