Die monatliche Kolumne von Flüchtlingspastor Walter BartelsMärz 2016: Bis hierher – und wie weiter?

Grenzen – das ist wohl das am heftigsten diskutierte und umkämpfte Schlagwort dieser Tage. Grenzen – kein Tag, kein 'Gipfel', keine Nachricht ohne neue Vorschläge und Forderungen, Drohungen mit Abbruch der Verhandlungen, fragwürdige Deals mit Menschenschicksalen…

Aber was ist das schon angesichts dessen, was sich an der realen Grenze nach Mazedonien abspielt?! Schon das Angucken der Nachrichten ist schwer zu ertragen: Schreie und Gedrängel am Zaun. Tränen, Tränengas. Chaos in Kälte, Regen und Schlamm. Dazwischen immer noch und wieder Leute, die Brotlaibe und Wasserflaschen verteilen, eine Zeltplane organisieren, einen Kinderpullover auftreiben. Gott sei Dank, wenigstens das. Wer findet eine Lösung gegen die anbrandende Verzweiflung? Wer hat beim politischen Deal den Ausweg für die komplett verfahrene Situation?

Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Laß sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.   Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Ich weiß nicht, was den Mann aus Nazareth in die Gegend von Tyrus und Sidon verschlagen hat (Matthäus 15). Hatte er Lust auf eine Grenzüberschreitung? Das wäre ja nicht neu bei ihm. Sich ausprobieren im kleinen Grenzverkehr – nach der bisherigen Arbeit rund um den See Genezareth? Da oben im Nordwesten, das ist nicht gerade das Weidegebiet der "Schafe Israels", um sein Bild zu benutzen. Bei dem Ruf, der ihm vorauseilt – Heiland, Helfer – weckt er Hoffnungen und kann sich kaum wundern über grenzüberschreitende Erwartungen, etwa bei dieser syro-phönizischen Frau.

"Sie aber schrie: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner…" 

Es gibt Grenzen. Grenzen sind nötig und hinderlich. Sie schaffen Sicherheit und verhindern Kontakt. Sie schützen und verlocken zum Übertreten. Grenzen wirken oftmals unverrückbar und sind doch alles andere als ewig. Grenzen: immer wieder umstritten, heiß umkämpft, auch unter uns. Selbst der Meister aus Nazareth kann sich der heftigen Dynamik um Abgrenzung und Zugänglichkeit nicht entziehen. Es geht um Lebenschancen und um Ausweglosigkeit. In dem Konflikt kommt keine/r ohne Ansehensverlust davon: nicht die öffentlich schreiende Frau, nicht der sich seltsam verweigernde berühmte Mann. Am Ende, nach einem wirklich grenzwertigen Streit – wer gewinnt? Die, um die es eigentlich geht: 

Er aber sprach: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe wie du willst. Und zu derselben Stunde wurde ihre Tochter gesund. 

Grenzen sind wichtig und unvermeidlich. Aber Jesus setzt eine 'Obergrenze' für das Grenzen-machen: wo jemand schreien muß, weil sie es nicht mehr aushält; wo jemand im Elend verloren geht; wo einer sich selber nicht mehr helfen kann, sind wir gefragt, sollen hingucken und entscheiden, was zu tun ist.

Mehr von solchen Geschichten aus der Weisheit unserer Tradition! Mehr von solchen Erfahrungen mitten unter uns! Mehr Einsicht und Weitsicht bei denen, die die viel Macht haben über Grenzen und für das Menschenmögliche!

Walter Bartels